piwik no script img

Ist der Angriff gegen Gaddafi richtig?

KRIEG Eine Koalition der Willigen greift in Libyen ein – doch die Entscheidung ist international umstritten

nächste frage

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen eine interessante Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

www.taz.de/sonntazstreit

JA

Kerstin Müller,47, ist außenpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen

Der UN-Sicherheitsrat hat mit der Resolution 1973 keine „Angriffe gegen Gaddafi“ legitimiert, sondern beschlossen, den „Schutz der Zivilbevölkerung“ sicherzustellen , deren Leben in den Städten Misurata und Bengasi unmittelbar bedroht war. Seitdem Kofi Annan 2005 die „Responsibility to protect“ auf den Weg brachte, ist es das erste Mal seit Srebenica und Ruanda, seit Darfur, dass die Staatengemeinschaft in dieser Reichweite ihre Pflicht zum Handeln bei solchen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch wahrnimmt. Das war richtig und konsequent. Es ist dennoch bitter. Denn der Einsatz militärischer Mittel bedeutet, dass die Politik bereits dramatisch versagt hat. Jahrelang hatten „dieselben“ Politiker Gaddafi hofiert und aufgerüstet. Es ist auch riskant. Ein Eingreifen kann die Situation eskalieren, führt zu zivilen Opfern, kann lange dauern. Trotz dieser Zweifel hätte die Bundesregierung zustimmen müssen, auch wenn sie sich militärisch nicht beteiligt. So hat sie Europa gespalten und dramatisch an Glaubwürdigkeit in der UNO und in der arabischen Welt verloren. Eine schwerwiegende Fehlentscheidung!

Ensam Kalamo Salam, 42, aus Kairo, war schon vor dem arabischen Frühling Aktivist

Als Aktivist aus Ägypten bewegt mich die Situation der Menschen in den anderen arabischen Ländern sehr. Ich wünschte, die Situation in Libyen wäre anders und der Diktator würde das Land friedlich verlassen – wie es in Ägypten geschehen ist. Aber wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Zivilbevölkerung zu schützen, bin ich mit der internationalen Aktion einverstanden, solange sie kurz ist und nur dazu dient, diesen arroganten Führer zu stürzen und Zivilisten zu schützen. Auf keinen Fall darf sie wirtschaftliche Zielen haben wie den Zugang zu Öl – das würde die Kluft zwischen den Menschen in arabischen Ländern und der EU und USA weiter vertiefen.

Stefan Göpke, 45, lebt in Braunschweig und hat den Streit auf taz.de kommentiert

Allein diese immer wieder gestellte Frage zeugt von dem Unwillen, sich mit aktuellen und reellen Problemen zu beschäftigen. Die Menschen, die unbequeme Entscheidungen meiden, definieren Frieden in einer äußerst fragwürdigen Art. „Frieden“ bedeutet für sie nur bequeme Ruhe, der sich alle anderen Werte unterzuordnen haben. Ohne Freiheit und Menschenrechte ist Frieden nur eine seichte Illusion, eine leere Worthülse. Manchmal muss man aber auch für seine Grundwerte kämpfen. Dieses Paradoxon lösen die Bequemen für sich, indem sie einfach jeden, der ihre Ruhe stört, zum Friedensfeind erklären. Sie üben lieber einen Schulterschluss mit Freiheitsfeinden, die den Begriff Frieden auch schon lange für sich vereinnahmt haben und Terror als friedlichen Widerstand, aber Selbstverteidigung als kriegerische Gewalt definieren. Ist das der „Frieden“, über den diskutiert wird? Aber mal konkret: Nachdem nun in der Vergangenheit die Zivilgesellschaft bezüglich Gaddafi versagt hat (Claudia Roth plädierte 2004 zum Abwarten – danach war nichts mehr zu hören), mögen jene doch bitte für die konkrete, von ihnen mitverantwortete Situation eine gewaltfreie Lösung vorschlagen. Eine, bei der nicht Tausende von Zivilisten massakriert werden. Mit einem Sieg Gaddafis würde sicher auch wieder „Frieden“ einkehren, aber nicht meine Vorstellung von Frieden!

NEIN

Johan Galtung, 80, ist Mathematiker, Soziologe, Politologe und Friedensforscher

Ein Arzt, der seine Feinde nicht behandelt, bricht den hippokratischen Eid; eine Organisation, die nur gegen ihre Feinde interveniert, bricht das Prinzip der humanitären Hilfe. Hätte es eine Flugverbotszone auch über Bahrain oder dem Gazastreifen gegeben, hätte man sie auch eingerichtet, um die Qassam-Raketen der Hamas abzuwehren, wäre die aktuelle Intervention sicher leichter zu rechtfertigen. So aber bestätigt der Einsatz der Koalition aus politischer Sicht die gängigen Klischees über das Verhalten imperialistischer Kräfte. Für Großbritannien, Frankreich und die USA wird sich das negativ auswirken. Aus ökonomischer Sicht geht es sowieso nur ums Öl. Aus menschlicher Sicht muss man sagen, dass dieser Einsatz mehr Menschen töten wird, als er retten kann. Dieser Krieg kann viele Jahre andauern. Gaddafi ist ein Autokrat, aber er ist auch aufgestanden für sein Volk, um gegen ein Unrechtsregime zu kämpfen. Und er besitzt immer noch eine enorme Strahlkraft: Sollte er durch die Angriffe der Koalition ums Leben kommen, wird er als Märtyrer in die Geschichte eingehen.

Konstantin Kosatschew, 48, ist Vorsitzender des außenpolitischen Ausschusses der Duma

Unter den jetzigen Bedingungen wäre eine neue Resolution vonnöten. Russland hat versucht, im Sicherheitsrat eine präzisere Resolution zu formulieren, die einen wie auch immer gearteten Missbrauch von vornherein ausgeschlossen hätte. Unser Vorschlag fand aber keine Unterstützung. Daher haben wir uns für das so genannte kleinere Übel entschieden. Wenn auch nur indirekt kam dies einer Unterstützung der humanitären Intervention gleich. Gleichzeitig bedeutet dies aber eine Absage an eine militärische Operation, hinter der sich nichts anderes als eine politische Intervention verbirgt. Wir lehnen die Methoden der antilibyschen Koalition, Ordnung in dem Land herzustellen, ab. Denn es entsteht der Eindruck, dass die Intervention andere Ziele verfolgt: die Unterstützung der Opposition nämlich. Das bedeutet jedoch Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieses Staates. Nur das libysche Volk hat das Recht, die Zukunft seines Landes zu bestimmen.

Norman Paech, 83, ist Völkerrechtler und war außenpolitischer Sprecher der Linken

Wo kämen wir hin, wenn wir jeden Schurken mit Krieg überziehen würden? Wo war der Sicherheitsrat, als Bush Irak überfiel mit zigtausenden von Toten? Wer den US-Präsidenten angreift, ist ein Terrorist und greift die Menschheit an. Wer Gaddafi angreift, aber rettet die Menschheit? Erst päppelt man den Schurken, rüstet ihn auf über Jahrzehnte, sichert sich sein Öl und benutzt ihn zur Abwehr der Flüchtlinge. Passt er nicht mehr ins Konzept und sinken die Umfragewerte zu Hause, greift man zur Waffe und lässt die Kriegsintellektuellen ihr Lied von den Menschenrechten singen. Man schlägt alle Vermittlungs- und Verhandlungsangebote aus, erklärt, es gibt keine Alternative, und setzt auf Bomben und Raketen, um den alten Verbündeten zu liquidieren. Wie verlogen ist diese Politik? Wer sind hier die Schurken? Kann man sich sein Öl und Gas nicht mit zivilisierten Mitteln sichern? Haben die blutigen Massaker, die vielen Toten in Afghanistan und Irak den Menschenrechten genutzt? Wer die Menschenrechte mit Krieg retten will, hinterlässt immer ein Schlachtfeld. Eines, auf dem es keine Menschenrechte mehr gibt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen