: Bieder in Berlin
Junge Konservative heute. Eine Wahrheit-Reportage aus dem Neokaiserreich
Im Prenzlauer Berg wird wieder Politik gemacht. Im rauchfreien Hinterzimmer des In-Lokals „Blüchers“ treffen sich jeden Dienstag bürgerliche Renegaten, enttäuschte Konservative, neoliberale Träumer und blutjunge Reaktionäre. Bei handgepflücktem Zichorienkaffee sitzt man beisammen, bespricht die Weltläufte und den neuen Manufactum-Katalog. Die Herren tragen Cord und Tweed in Erdfarben, die Damen Blümchenkleider und vernünftige Schuhe, die Kinder heißen Anna-Lena und Malte-Darbonne.
„Eine stocksteif-konservative Protestpartei für junge Leute, das ist das nächste große Ding“, erläutert Kai-Lucius Bernsen, im richtigen Leben Art Director ohne Geschäftsbereich bei einem Web-2.0-Dings ohne Aufträge und Sprecher des Kommunikationsbüros „Die Biedermeier“, das diese Veranstaltungen ausrichtet. „Wir sehen uns als Meinungselite, nicht als Mainstream“, sagt er, „Wir prägen einen neuen radical chic. Aber gegen Rechtsradikale und Neonazis grenzen wir uns strikt ab, die haben ja meist gar kein Abitur. Außerdem sind wir Neokaiserreich.“
Bernsen ist im niedersächsischen Schlickwede aufgewachsen. Eine glückliche Kindheit in einem liebevollen Elternhaus, erzählt er. Der Vater war Zahnarzt, die Mutter betrieb ein Töpferstudio, zum 18. Geburtstag gab es ein Auto, dann wurde der Wehrdienst verweigert. Den Eltern zuliebe, wie Bernsen heute zugibt. „Doch irgendwann wurde es mir in der Provinz zu liberal, ich musste da einfach raus.“ Der junge Kreative schüttelt den Kopf. „Was hätte aus mir werden können, wenn man mich einfach mal zu was gezwungen hätte. Meine Kinder sollen es einmal besser haben.“
Ein Flötenvorspiel unterbricht unser Gespräch. Fünf Anna-Lenas und drei Malte-Darbonnes piepsen unter den gestrengen Augen ihrer Mütter Choräle auf ihren Blockflöten. Wer sich verspielt, wird mit Eselshut in die Ecke gestellt. „Kinder brauchen Grenzen“, sagt Bernsens Frau.
„Berlin hat mir die Augen geöffnet: die Gewalt, der Dialekt, der Dreck auf den Straßen …“, erzählt Bernsen. „… und die Unhöflichkeit“, ergänzt seine Frau Renate, die aus der schwäbischen Kleinstadt Einengen stammt, und streicht ihren Faltenrock gerade. „Das sind doch alles Folgen des gesellschaftlichen Laissez-faire, dem auch unsere Kinder fortwährend ausgesetzt sind.“
Dagegen wollen die Bernsens vorgehen. Renate Bernsen, promovierte Juristin und überzeugte Hausfrau, hat deswegen den Verein „Kinder brauchen Grenzen e. V.“ gegründet. In der altsprachlichen Kindertagesstätte des Vereins lernen die drei- bis fünfjährigen Kinder neben Altgriechisch auch Business-Englisch sowie Fechten und Reiten (Jungs), aber auch Handarbeiten und Benimm (Mädchen). Zweimal in der Woche werden Mores gelehrt. Voraussetzungen für die Aufnahme in den Verein sind saubere Fingernägel, großes Latinum oder ein stilvoll eingerichtetes Townhouse in Mitte, außerdem müssen die Kinder einen Doppelnamen haben. „Wir haben da den Caspar-David, die Anna-Maria, den Sören-Kierkegaard, die Marie-Luise und sechzehn Anna-Lenas. Oder achtzehn, wenn man die Jungs dazurechnet“, zählt Renate Bernsen auf.
Aber auch in anderen sozialen Belangen sind die Prenzelberger Konservativen aktiv. Einmal im Jahr veranstalten sie einen karitativen Ernst-Jünger-Ähnlichkeitswettbewerb in einem Neuköllner Altersheim und lesen jugendlichen Obdachlosen aus dem „Nesthäkchen“ vor. „Zu Weihnachten beschenken wir sogar die kleinen Türkenkinder, die können ja nichts dafür“, sagt Renate Bernsen mit leuchtenden Augen und zupft an ihrer Bluse.
Jetzt wollen die Bernsens sogar die deutsche Parteienlandschaft bereichern. „Von Eva Herman bis Bischof Mixa artikulieren sich wichtige neue Stimmen längst außerhalb der etablierten Parteien“, wirft Kai-Lucius Bernsen ein, „Stimmen, die ich schon lange in meinem Kopf hören kann. Wir stehen vor einem neuen konservativen Aufbruch.“
Tatsächlich schätzt Parteienforscher Fritz Walter von der Berliner Humboldt-Universität das Wählerpotential einer konservativen Protestpartei aus enttäuschten Alt-Konservativen und „reaktionären Performern“ wie den Bernsens auf acht bis zehn Prozent. „Zwischen die zerfallenden Großmilieus der Traditionsverwurzelten und den hochindividualisierten Nischen der modernen Performer kann man noch eine Partei reinquetschen. Doch, eine geht noch, eine geht noch rein“, klärt der fusselhaarige Gelehrte auf und tippt auf sein Schaubild, „aber dann ist Schluss, die NPD mal ich da nicht auch noch hinein.“
Im Hinterzimmer des „Blüchers“ legt ein DJ derweil den preußischen Defiliermarsch auf.
CHRISTIAN BARTEL
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