SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Der Herzenskrieg der Kulturschaffenden
In Deutschland pflegen die linken Kulturschaffenden ein Hobby: offene Briefe zu schreiben. Regelmäßig erwachen sie aus ihrer Lethargie, um ein Zeichen zu setzen. Gegen die Ungerechtigkeit in der Welt. Gegen Krieg. Und es gibt viele Gründe, zu mahnen und zu warnen: die Massaker im Nordirak, die Lage in Syrien, in der Ukraine. Doch nur ein Krieg liegt den Deutschen wirklich am Herzen: der Gazakrieg.
Der „Offene Brief Kulturschaffender“ gilt daher den Bombardierungen Gazas durch Israel, der Lage im „größten Freiluftgefängnis der Welt“. Die Petition kommt selbstredend ohne die Erwähnung der Hamas aus. (Sonst wäre es etwas komplizierter, die Hamas kämpft nämlich gar nicht gegen Israel, sondern gegen „die Juden“.)
Und nicht nur die UnterzeichnerInnen – darunter Diether Dehm, Nina Hagen, Schorsch Kamerum – schreiben gerne Briefe. Kriselt es in Nahost, flutet Hasspost die Briefkästen des Zentralrats der Juden – jede Gemeinde wird den Protestierenden zum israelischen Konsulat. Die Briefe folgen dem immergleichen Empörungsmuster: Wenn es sonst keiner sagt!
Die Parteien reagierten auf die Drohungen gegen Jüdinnen und Juden indes nur zögerlich. Sie alle haben ihre Erfahrung mit Antisemitismus. Gerade die Linkspartei, wo „in Verbindung mit friedenspolitischen Positionierungen ein israelbezogener Antisemitismus“ erscheint, hat ein Problem, schreiben Dana Ioenescu und Samuel Salzborn in „Antisemitismus in deutschen Parteien“ (Nomos, 2014). Das Engagement für den Frieden ist da vor allem eins: ein Engagement gegen Israel. Spezifisch für die Linke ist die Täter-Opfer-Umkehr, die sich aus dem antifaschistischen Selbstverständnis ergibt – das geht so weit, dass in der Partei mit Boykottaufrufen antisemitische NS-Propaganda plagiiert wird.
Und jeder Konflikt um Gaza fällt wieder auf diesen fruchtbaren Boden. Als nun Gregor Gysi und Katja Kipping das Seite-an-Seite der Friedensdemonstranten mit deutschen Hamas-Fans verurteilten, traf sie der Shitstorm aus den eigenen Reihen. Deutsche Linke wissen nun mal, wer der Feind ist. Er trägt Kippa.
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