: Eine Übung in Demut
Wandern, singen, powernappen: Mittendrin beim Besuch des Papstes in Istanbul
Wer nicht gut zu Fuß ist in einer 17-Millionen-Stadt, die einfach mal verzichtet auf öffentlichen und privaten Nahverkehr, ist ohne Chance. Der Papst in Istanbul: Ausnahmezustand, ein apokalyptisches Szenario. Tausende ziehen über sechsspurige Straßen und Brücken, über ihnen kreisen Hubschrauber, auf den Dächern stehen Scharfschützen. Ihre Taschen, Päckchen und Kinder transportieren sie auf dem Rücken, vorbei an Polizisten, die Uzi im Anschlag, Wasserwerfern, kilometerlangen Absperrungen. Ein Mann mit Klumpfuß kommt unendlich langsam voran. Der Papsttag ist für Istanbul eine Übung in Demut.
Das Gleiche gilt für die 2.000 angereisten Journalisten. Bündelweise Akkreditierungen, die man sich um den Hals hängen durfte, nachdem man faxte und mailte und telefonierte, erweisen sich als nutzlos. Am Morgen gewähren sie Zutritt zu einer schlammigen Wiese. Auf der Liste, die einlässt ins Golden-Weihrauchige des orthodoxen Patriarchats, stehen ganze 50 Namen. Sorry. Man stellt sich also in eine Reihe mit ein paar aufgeregten US-Pilgern und lügt das Blaue vom Himmel. Ja, griechisch-orthodox, ja, unbedingt beten wollen. Die Polizei hat ein Einsehen. In der Kirche singen die Sänger. Das tun sie dann fünf Stunden lang. Die Liturgie des Heiligen Chrysostomos hat stolze 95 Seiten, für jeden zum Mitlesen in rotem Samt gebunden. Irgendwann kommt der Patriarch, irgendwann der Papst. Ersterer wechselt einmal seine Kopfbedeckung, Letzterer bewegt sich einmal zum Friedenskuss. Dann wird weitergesungen. Man powernappt ein bisschen neben einem Mönch aus Polen, sogar der Papst zittert kurz gefährlich mit den Lidern. Man fragt einen orthodoxen Priester, ob die Gottesdienste hier immer so lang dauern. „For Christ’s sake: no!“, sagt er und wischt sich über die Stirn.
Am Ende stehen der frisch rasierte Papst und der sehr bärtige Patriarch auf einem Balkon und fassen sich an den Händen. Scharlachrote, purpurne und schwarze Würdenträger aus den beiden vereinigungswilligen Kirchen applaudieren. Ein irgendwie schöner Moment. Eine Stunde läuft man zurück in die Stadt, entlang der Hochsicherheitsroute. Niemand wartet mit einem weißgelben Fähnchen, niemand aber auch mit Hasstransparent. Istanbul wandert schweigend. Die Männer kneten ihre Gebetsketten: „Dieser ganze Aufstand ist unnötig. Niemand hier will auf den Papst schießen. Wir lieben ihn nicht, nein, aber es ist in Ordnung, wenn er die Blaue Moschee besucht.“
Das hätte man gern mit ihm zusammen gemacht. Aber man hat nicht die richtige Akkreditierung. Man bleibt vor der Polizeikette. Plötzlich hält eine junge Frau mit Kopftuch einen DIN-A3-Zettel hoch, auf dem etwas steht mit Papa und Muhammed und Allah. Polizisten befehlen ihr, den Zettel wieder einzurollen, die ersten Kameras nähern sich. Die Frau wischt sich Tränen aus den Augen. Der Ü-Wagen von al-Dschasira schenkt Tee aus.
Da braust die Kolonne vorbei. Viele schwarze Mercedesse und ein weißer. In dem weißen, das weiß jeder, sitzt der Papst aber nicht – aus Sicherheitsgründen. Still blicken die Menschen dem Spuk hinterher. Dann sagt einer: „Das Leben geht weiter.“ Prompt taucht wie aus einem schönen Traum vom zivilisierten Leben die erste Straßenbahn des Tages auf. Dann ruft aus den Lautsprechern der Blauen Moschee der Muezzin. KIRSTEN RIESSELMANN
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