: WLAN im Berliner S-Bahn-Netz
Berlin ist pleite, braucht also jetzt seine Boheme. Dann soll die Stadt auch etwas für sie tun. Sagen Christiane Rösinger und Holm Friebe. Die Politik kontert: „Wer Künstler ist, also macht, was er will, darf vom Staat nicht viel erwarten“
„Urbane Penner oder digitale Boheme?“ Das war die Frage einer weiteren Diskussion um neue Arbeitsformen und also neue Lebensstile. Und diesmal wurde sie nicht nur von den Betroffenen selbst, sondern auch von VertreterInnen der Politik und des Stadtmarketings geführt. Im Grünen Salon trafen Volker Hassemer (CDU), der nach seiner Pensionierung nun der Stiftung ZukunftBerlin vorsitzt, und die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, Ingrid Walther, auf die Boheme, namentlich die AutorInnen Holm Friebe und Christiane Rösinger.
Wie also nennen wir das schillernde Kind, das in Berlins Szenekneipen sitzt, kein Geld, aber einen Laptop vor sich hat und im Web 2.0 seine Welt baut? Und wichtiger: Wie umgehen mit diesen bedachtsam gekleideten Figuren der Mittelschicht, die der Kapitale Glanz verleihen und gleichzeitig ihren Bankrott verkörpern? Immerhin sind sie es, die dem hiesigen Bürgermeister einen Satz wie „Wir sind arm, aber sexy“ ermöglichen, ohne dass dieser sich komplett lächerlich machte.
Vor rund einem Jahr hat die Publizistin Mercedes Bunz in der Zitty den Begriff „urbane Penner“ in die Runde geworfen und damit große Beachtung gefunden. Holm Friebe und Sascha Lobo korrigierten im Sommer nach und sprechen in ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit“ lieber von „digitaler Boheme“. Immerhin seien Penner per Definition ein städtisches Phänomen, sonst wären es ja Landstreicher. Außerdem, fügt Christiane Rösinger hinzu, verharmlose der Begriff die Probleme der Obdachlosen. „Gemessen an ihnen, geht es uns gut.“ Die „urbanen Penner“ waren also schnell vom Tisch. Blieb die Frage, wie eine Stadt diese kreativen Kleinselbständigen fördern und vor allem, etwa durch eine veränderte Steuerpolitik, auch sozial absichern kann. Jetzt wurde es interessant.
Denn so behände Hassemer und Walther den KünstlerInnen und WebarbeiterInnen eine Relevanz zusicherten, auf die Polemik von Friebe „Etwas Besseres als eine Festanstellung finden wir allemal“, reagierten sie eisig. Als Friebe und Rösinger einen strukturellen Support für ein nicht nur selbstverantwortliches, sondern auch offensiv am Lustprinzip ausgerichtetes Leben forderten, ging nichts mehr. Neoliberalismus mit dem bürgerlichen Anspruch auf ein glückliches Leben zu verschränken, das war zu viel. Denn „wer Künstler ist, also macht, was er will, darf vom Staat nicht allzu viel erwarten“ (Walther).
Zack, da waren wir wieder am Anfang der Diskussion und gleichzeitig am Ende der Vorstellungskraft der Politik und des Berliner Kulturmarketings angelangt: Dass Kunst, dass Intellekt und das Web 2.0 Arbeit sein können, dass eine nichtkommerzielle Öffentlichkeit herzustellen, wie es vor allem Christiane Rösinger seit Jahren in der Stadt unternimmt, kein Privatvergnügen ist, sondern gesellschaftliche Relevanz besitzt, das ist für Hassemer und Walther nicht vorstellbar. Ideen wie „immaterielle Arbeit“ oder „kulturelles Kapital“ haben ihre Büros demnach noch nicht erreicht.
Das aber ist der springende Punkt: Anzuerkennen, dass eine Tätigkeit gesellschaftlich produktiv sein kann, auch wenn sie nicht unmittelbar Geld bringt. Die auch von „Partner für Berlin“ (Hassemers Spielwiese bis 2002) vermarkteten Berliner Buddy-Bären wären hierzu übrigens das Gegenmodell. Kunsthandwerk eröffnet keine neuen Perspektiven, aber es rechnet sich natürlich. Kurzfristig.
Demgegenüber fordern die Kulturschaffenden, die Entwicklung von alternativen Lebens- und Arbeitsformen finanziell zu unterstützen. Denn sie machten das Flair von Berlin aus. Etwas, wovon die Stadt wegen des Missmanagement der Nachwendezeit bekanntlich auch lebt, nicht zuletzt, da es Touristen anzieht. Diese einfache Argumentation war Walther und Hassemer leider zu abgehoben. Also schwenkten Friebe und Rösinger um und machten konkrete Vorschläge.
Friebe schlug vor, das S-Bahn-Netz mit WLAN auszustatten. Immerhin sei Digitalisierung die Alphabetisierung des 21. Jahrhunderts. Walther und Hassemer lächelten vage. Rösinger versuchte es mit einem gediegeneren Vorschlag aus dem Feld der Politik: dem Bürgergeld. Jetzt war Pommern offen. Von der seit den 70er-Jahren in allen Parteien turnusmäßig diskutierten Möglichkeit, jeder BürgerIn etwas mehr als das Existenzminimum zu zahlen, damit das Arbeitslosengeld und die Sozialversicherung abzuschaffen, die Verwaltungskosten einzusparen, folglich gesellschaftliche Integration und Anerkennung nicht mehr über Erwerbstätigkeit zu organisieren – davon hatten die Berufspolitiker „noch nie gehört“.
Nichtsdestoweniger griff es ihre Identität an. Wieder öffnete sich ein Graben und er blieb unüberbrückt: zwischen denen, die nach neuen Wegen suchen, dabei auch Unsinn machen und sich stellenweise unerhört wichtig nehmen, und denen, die so saturiert wie desillusioniert im Feld des Bekannten agieren. Offensichtlich aber wurde, dass Letztere immer mehr Energie aufwenden müssen, um gegenläufige Konzepte von Leben und Arbeit abzuwehren. Was ihrer Produktivität nicht eben zuträglich ist.
INES KAPPERT
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