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Die Fäden im Textil der Vergangenheit

DEMOKRATIE Eine Filmreihe im HKW stellt die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung Südafrikas nach 1994

Ein Netz aus Seitenwechseln, Mini-Allianzen und frostigem Einvernehmen

VON CAROLIN WEIDNER

Vielleicht kann man tatsächlich von einem „Testfall“ (HKW) sprechen, wenn eine Demokratie gerade einmal zwei Jahrzehnte alt ist. So wie in der Republik Südafrika. 2014 ist, neben einigen anderen, also auch das Jahr dieses Jubiläums. Ihm richtet das Haus der Kulturen der Welt vom 28. bis 31. August eine eigene Veranstaltung aus, namentlich „20 Jahre Demokratie in Südafrika“. Neben einem Symposium und Konzerten bildet sich das Programm außerdem aus acht Filmen, welche die Frage nach der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes nach 1994 von sehr unterschiedlichen Standorten aus stellen.

In Ingrid Martens äußerst reduziertem Dokumentarfilm „Africa Shafted: Under One Roof“ (ZA 2011) fährt man zum Beispiel eine Stunde lang im Fahrstuhl des ehemals berüchtigten Ponte-City-Wohnkomplexes in Johannesburg rauf und runter. Ponte City, das ist ein 1975 errichteter Wolkenkratzer von 173 Meter Höhe, somit höchstes Apartment-Hochhaus Südafrikas, und Wohnstätte von fast 4.500 Menschen. 54 Etagen, 8 Fahrstühle. Martens trifft in ihnen Personen aus ganz Afrika, im Fahrstuhl steht ein „Little Africa“ dicht beieinander gedrängt, beäugt sich, scherzt, hofft, dass der Lift nicht stecken bleibt.

Das einst als edle Adresse gehandelte zylinderförmige Haus verlor in den 1990er Jahren seinen guten Ruf, als die Reichen aus- und die vermeintlich Kriminellen einzogen. Ponte City als sozialer Brennpunkt. Martens zeigt diese Perspektive.

Was ihr allerdings ebenfalls gelingt, ist, und das ist es auch, was „Africa Shafted“ so sehenswert macht, die verschiedensten Bewohner im Haus (beziehungsweise Fahrstuhl) zum Sprechen zu bringen. Skeptische Zulu, die den Bewohnern aus Mosambik und Nigeria ablehnend gegenüberstehen. Junge Männer und Frauen aus Malawi, die im Zipfelstaat Südafrika einen Neuanfang wagen, sich jedoch gerade von der schwarzen Bevölkerung diskriminiert fühlen – eine neue Hierarchie mit neuen Ressentiments vorfinden.

An den Vielklang, den Martens Dokumentarfilm erzeugt, weiß auch Deborah Hoffmanns und Frances Reids „Long Night’s Journey Into Day“ (USA 2000) anzuschließen. Hier halten sich die Filmemacher an vier Geschichten der TRC (Truth and Reconciliation Commission), Wahrheits- und Versöhnungskommission, die 1996 von Nelson Mandela eingesetzt wurde und insgesamt zwei Jahre lang tätig blieb. Ihr Ziel: die Untersuchung politisch motivierter Verbrechen während der Apartheid. Hierfür sollte ein Dialog hergestellt werden zwischen „Tätern“ und „Opfern“, mit der Besonderheit, dass Angeklagte durch das Geständnis ihrer Taten Amnestie erwirken konnten. So stehen Anschläge, die im Namen der ANC begangen wurden, gegen weiße Zivilisten. Oder weiße Polizisten gegen die Witwen toter ANC-Aktivisten. „Long Night’s Journey Into Day“ setzt sich zu weiten Strecken aus dem Videomaterial der jeweiligen Anhörungen zusammen; er ist ein beeindruckendes Dokument dafür, was es bedeutet (und was es vermag), einer äußerst schmerzlichen Vergangenheit zu begegnen.

Der verstörendste Film im Programm aber ist Rehad Desais „Miners Shot Down“ (ZA 2014). Er setzt wenige Tage vor dem Massaker von Marikana im August 2012 ein, wohl in dem Anliegen, den Streik von Arbeitern in einer Platinmine zu dokumentieren, die eine Lohnerhöhung erwirken wollen. Doch der bis dato friedliche Protest eskaliert, ein Polizeikommando erschießt 46 Menschen, als diese gerade im Begriff sind, nach Hause zu gehen. Auch Desais verfolgt den anschließenden gerichtlichen Prozess und haftet sich vor allem an jene, die das Szenario befürwortet und angeleitet haben. Ein Netz, geflochten aus Seitenwechseln, Mini-Allianzen und frostigem Einvernehmen.

Ein Netz, das an vielen Stellen faustgroße Löcher hat und andernorts wieder so fein ist, dass man kaum hindurchschauen kann. Eine Demokratie aus diesem unregelmäßigem Stoff zu nähen scheint manchmal fast unmöglich. Die meisten Filme der HKW-Reihe nehmen sich „nur“ ein Quadrat dieses Textils vor, untersuchen und vergrößern seine Struktur. Das ist überaus komplex und reich. Ein Wort, das oft fällt, lautet Vergebung. Und interessanterweise auch: Deutschland.

■  Filmreihe zum Festival „20 Jahre Demokratie in Südafrika“: HKW, John-Foster-Dulles-Allee 10, 28.– 31. August, Abendticket (Konzert + Film) 18 €/15 €, Film solo 6 €/4 €, Programm: www.hkw.de

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