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Und sie leben noch

Bernd Hüttner hat ein nützliches „Verzeichnis der Alternativmedien“ in Deutschland herausgegeben

Mit Heft Nr. 29 verabschiedete sich die lesbisch-feministische Zeitschrift Ihrsinn von ihren Leserinnen. Geschlechterfragen hätten sich überholt, auch müsse die Selbstausbeutung der Autorinnen ein Ende haben.

Die Begründung trifft den Kern der Entwicklung der Alternativmedien. Dies zeigt auch das „Verzeichnis der Alternativmedien 2006/2007“, das der Bremer Politikwissenschaftler und Gründer des Archivs der sozialen Bewegungen, Bernd Hüttner, nun herausgegeben hat. Er bewertet es in seinem Vorwort als positiv, dass viele Themen und Ziele der neuen sozialen Bewegungen mittlerweile in den etablierten Mainstream integriert worden seien. Er moniert jedoch, dass sich die Alternativbewegungen und -medien nicht auf ihre Wurzeln besinnen sowie ihre Vernetzung nicht mehr intensiv pflegen. Auch führe der Zwang zu Existenzsicherung dazu, dass sich kaum noch ehrenamtliche Mitarbeiter finden – wobei ja gerade auch in Alternativforen diese Form der ideellen Selbstausbeutung durchaus in Frage gestellt wird.

Hütters Vorwort klingt nach einem die Vergangenheit romantisierendem Schwanengesang. Er zeigt auf, dass sich die Zukunft wohl eher im virtuellen Raum, in Weblogs, Internet und Wikis abspielen wird, scheint aber wenig überzeugt von deren Qualität, ja er sieht einen eher ungehemmten Quasselbudencharakter dieser Medien. Hier liegt ein persönliches Hemmnis des Autors. Doch wenn sich Printmedien aus verschiedenen Gründen kaum mehr halten können, wenn sich die Gewohnheiten und Einstellungen der Interessenten verändern, so ist dies schlicht zeitgemäß.

Das Verzeichnis ist eine Fundgrube für alle, die sich für Medien und Zeitgeschichte interessieren, es bietet nicht zuletzt durch den Adressteil eine hervorragende Grundlage zur Vernetzung. Vielleicht animiert es auch zu der Erforschung der Alternativmedien, die der Herausgeber einklagt. Besonders spannend sind vor allem Gottfried Oys Beitrag „Lebenswelt Gegenöffentlichkeit“ und Gisela Notz’ „Alternative Zeitungen und Zeitschriften der Neuen Frauenbewegungen“, die gesellschaftliche Entwicklungen deutlich widerspiegeln. Das Interview mit Bernd Drücke, Redakteur der „Graswurzelrevolution“, ist gut positioniert: Es schließt das Handbuch optimistisch ab, denn die Graswurzelrevolution ist nach wie vor höchst lebendig – sowohl auf Papier gedruckt als auch im Internet präsent.

ANNA KATHARINA KNIESS

Bernd Hüttner (Hg.): „Verzeichnis der Alternativmedien 2006/2007. Zeitungen, Zeitschriften“. AG SPAK Bücher, Neu-Ulm 2006, 216 Seiten, 18 Euro; www.leibi.de/alternativmedien

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