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Ein helvetischer Hilferuf

24.000 Deutsche sind allein im vergangenen Jahr in die Schweiz migriert – wo sich allmählich immer häufiger Bedenken gegen die „Überfremdung“ regen, zuletzt geschürt vom Boulevardblatt „Blick“

von Nicola Mohler

„Wieviel Deutsche verträgt die Schweiz?“ Diesen Titel trug die von der Schweizer Boulevardzeitung Blick ins Leben gerufene Serie. Sollte das eine Kampagne gegen Deutsche sein? Rolf Cavalli, stellvertretender Chefredakteur des Blick, verneint und sagt, dass es sich dabei halt um ein Reizthema in der Schweizer Gesellschaft handele, welches diskutiert werden müsse. Kampagne hin oder her, eines scheint klar zu sein: Wäre eine andere Ausländergruppe in den Fokus geraten, dann hätte dies zu heftigeren Reaktionen, ja gar Rassismusvorwürfen geführt. Die Diskussion wurde in den deutschen Medien zwar aufgegriffen, aber zur defensiven Gegenhaltung ist es nicht gekommen. So konterte das süddeutsche Blatt Der Sonntag mit einem schwarz-rot-gold eingefärbten Matterhorn. Wohl eine Reaktion auf den Werbespot im Schweizer Fernsehen, in welchem ein Schweizer Kreuz droht, von der deutschen Flagge erdrückt zu werden. Wer hat’s erfunden? Der Blick natürlich!

Schauen wir der Realität ins Auge. Im letzten Jahr kamen 24.000 Deutsche in die Schweiz. So viele wie nie zuvor. In Zürich bilden die Deutschen die größte Ausländergruppe. Na ja, Zürich ist natürlich auch die pulsierende Schweizer Metropole, an dessen schönem Seeufer sich die Reichen sonnen. Es darf aber auch nicht vergessen werden, dass jährlich etwa 15.000 Schweizer ihre Heimat verlassen, um ihr Glück in einem fremden Land, unter anderem auch in Deutschland, zu finden. Die unbesetzten Arbeitsplätze müssen anderweitig besetzt werden. Da scheint es nur logisch, dies mit den am besten Qualifizierten zu tun. Die Deutschen bieten sich dafür ja nur so an: gute Bildung, fleißig, pünktlich und zuverlässig. Moment mal, sind das nicht die Charakteristika, mit denen wir Schweizer uns rühmen? Na egal. Was Blick als Werbekampagne nutzt, sieht Roger Köppel von der Weltwoche als Segen für die Schweiz. Die Schweizer Wirtschaft profitiert von den ausländischen Fachkräften, die den Wettbewerb stimulieren. Doch wieso fühlen sich die Deutschen von der Schweiz angezogen? Die guten Arbeitsbedingungen sind sicherlich ein Grund. Aber vielleicht sollte man sich besser fragen, warum die Deutschen eigentlich rekrutiert werden? Gründe dafür sind das tiefere Lohnniveau, die gute Ausbildung sowie der Wille, Arbeit zu verrichten, die viele Schweizer nicht mehr machen wollen.

Sicherlich ist es komisch, wenn ich vermehrt beim Einkaufen nach dem deutschen Wort für „Weggli“ greifen muss. Aber, ehrlich gesagt, was soll’s? Wir Schweizer sind das Multikulti doch gewohnt. Nicht umsonst haben wir bei 7,5 Millionen Einwohnern einen Ausländeranteil von über 20 Prozent. Und mit der gewohnten Sprachenvielfalt ist es nichts Neues, von einer Sprache in die andere zu wechseln. Na ja, mit dem Hochdeutschen tun wir uns manchmal ein bisschen schwer. Dabei wäre es nur eine Sache der Überwindung, Hochdeutsch ohne Akzent zu sprechen. Aber hat ein gewisser Akzent nicht auch einen gewissen Charme? Wäre ja langweilig, wenn alle mit der gleichen Melodie und Akzentuierung sprechen würden.

Schwingt bei dieser ganzen Angelegenheit nicht Eifersucht gegenüber unserem großen Nachbar mit? Wahrscheinlich. Denn wer genießt es nicht, an einem Wochenende in der Metropole Berlin unterzutauchen und Großstadtluft zu schnuppern? Die Schweiz ist wunderbar, ja landschaftlich sogar traumhaft. Vieles scheint manchmal gar zu perfekt zu sein. Ich kann hier noch lange Vor- und Nachteile der beiden Länder aufzählen. Aber im Wesentlichen läuft es doch darauf hinaus, dass man immer das haben will, was man nicht hat. Ja, ich wollte immer einen roten Krausekopf, habe aber braune gerade Haare. So wird es auch mit den zwei Nachbarländern sein.

Wie dem auch sei. Egal was der Blick mit dieser Serie bewirken wollte, egal wie viele Deutsche noch in die Schweiz kommen werden oder Schweizer nach Deutschland ziehen, im Endeffekt sind wir doch irgendwie, irgendwo alle gleich. Wir nehmen uns alle einfach zu wichtig.

Sollten Sie nun als Deutscher in die Schweiz fahren, dann nur ein kleiner Tipp nebenbei: Versuchen Sie auf keinen Fall, Schweizerdeutsch zu sprechen, denn das ist echt peinlich.

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