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Widerstand in der Glaskugel

ZENSUR Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez wollte zum taz-Medienkongress kommen, durfte jedoch nicht. Was sie stattdessen per Video sagte, haben wir dokumentiert

Yoani Sánchez, Bloggerin und taz-Kolumnistin

■ ist 35 Jahre alt und die Autorin des ersten unzensierten Blogs aus Kuba, „Generación Y“, in dem sie den Alltag in Kuba schildert und das Regime kritisiert.

■ Sie emigrierte 2002 in die Schweiz und kehrte zwei Jahre später aus familiären Gründen nach Kuba zurück. Sie ist mit einem Journalisten verheiratet und hat einen Sohn. Yoani Sánchez schreibt regelmäßig die Kolumne „Politik von unten“ in der sonntaz.

■ Der Text ist eine gekürzte Version ihrer Botschaft, vollständig finden Sie diese samt Video auf taz.de.

VON YOANI SÁNCHEZ

Ich möchte den Teilnehmern des Kongresses der tageszeitung einen Gruß von hier aus Havanna in Kuba schicken. Ich möchte mich dafür entschuldigen, dass ich nicht dabei sein kann. Leider ist das nichts, was ich selbst so entschieden hätte, sondern es ist einfach so, dass ich hier bin und ihr dort seid, weil wir Kubaner leider immer noch unter strikten Ausreiseregelungen leben. Es ist aber auch andererseits nicht so schlimm, weil diese kleine Webcam meine Worte zu euch tragen kann.

Ich will euch ein wenig über die alternative Blogosphäre in Kuba erzählen, über die Möglichkeiten, die neuen Technologien zu nutzen, und darüber, wie sich das auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft auswirkt.

Als ich 2007 anfing, meinen Blog „Generation Y“ zu schreiben, fühlte ich mich ziemlich unsicher. Ich hatte das Gefühl, dass ich da zur Pionierin eines Phänomens geworden war, dessen Einflussmöglichkeiten auf die wirkliche Welt noch nicht abzuschätzen waren. Für mich war es damals eher eine innere Motivation, mit dem Blog zu beginnen, als dass ich das als eine sozial oder zivilgesellschaftlich wichtige Aufgabe angesehen hätte. In den ersten Monaten hab ich den Blog meinen „persönlichen Exorzismus“ genannt, meine Therapie, um all das loszuwerden, was sich aufgestaut hatte. Ich hab das gemacht, um nicht verrückt zu werden und um mein Heil weder in der Flucht noch in der Gleichgültigkeit zu suchen.

Diese sehr individuelle Entscheidung verwandelte sich bald in eine ansteckende Gruppenerfahrung, die dann immer mehr gesellschaftliche Zielsetzungen bekam. Es entstand eine kleine Blogosphäre.

Die kubanische Blogosphäre hat eine völlig horizontale Struktur. Sie hat keinen Anführer. Niemand ordnet sich irgendjemandem unter. Das war wahrscheinlich auch der Schlüssel dafür, dass es uns noch gibt.

Regierungen wie das kubanische Regime, also vertikale Strukturen mit einer klar strukturierten Befehlskette von oben nach unten, sind sehr effektiv darin, Strukturen zu bekämpfen, die so ähnlich sind wie sie selbst. Deshalb fällt es ihnen so schwer, die Blogosphäre auszuschalten. Es gibt keinen Kopf, den man abtrennen könnte, keinen Chef, den man einsperren könnte, keinen Führer, den man zum Schweigen bringen könnte, damit alle schweigen.

Eine andere Charakteristik der kubanischen Bloggerszene ist, dass sie auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ins Netz geht. Hier wird es zu einem schwierigen Abenteuer, ins Netz zu gehen und zum Internauten zu werden. Nicht nur wegen der Zensur, sondern einfach, weil wir zu Hause keinen eigenen Internetzugang haben. Von zu Hause oder vom Arbeitsplatz aus können nur die hohen Funktionäre und die Vertrauensleute des Systems ins Internet gehen. Wir alternativen Blogger müssen uns behelfen: Internetcafés, internationale Hotels. Einige nutzen kleine Räume mit Internetzugang, die es in einigen europäischen Botschaften gibt. Wir machen das alles, haben aber immer Angst, dass sie uns eines Tages am Eingang eines Internetcafés aufhalten, dass sie uns den Einlass in ein Hotel verweigern. Dazu kommt, dass eine Stunde Internet im Hotel umgerechnet 6 Euro kostet – das entspricht etwa einem Drittel eines Monatsgehalts einer ausgebildeten Fachkraft in Kuba.

Warum sollte man also alternativer Blogger in einem Land sein, wo alles so teuer ist? Damit meine ich nicht nur das Geld. Auch die sozialen Kosten sind hoch. In meinem Fall zum Beispiel Verteufelungs- und Stigmatisierungskampagnen, die Überwachung meines Hauses, das Abhören meines Telefonanschlusses. Unsere Staatssicherheit setzt viel daran, uns glauben zu machen, dass wir in einer Glaskugel leben, in der der Große Bruder uns jederzeit überwacht.

Bei mir kommt noch die Verurteilung zum Inselarrest dazu. Deshalb bin ich hier hinter dieser Kamera, und ihr seid dort, tauscht Ideen und Gedanken aus und verhaltet euch wie freie Bürger. Ich bin dafür bestraft worden, dass ich eine Meinung habe, dass ich von meiner Realität erzähle. Genauso geht es vielen alternativen Bloggern. Trotzdem: Statt damit das Phänomen des Bloggens zu beseitigen, statt uns zu entmutigen, hat das alles uns vielmehr ermuntert. In dem Maße, wie ich die Mauern verstanden habe, die mich umgeben, die Enge, die uns einzwängt, in dem Maße habe ich auch begriffen, wie notwendig es ist, dass jemand darüber spricht.

Ich habe auch wundervolle Momente erlebt, nicht nur solche der Repression. Es gibt Augenblicke, die sind Balsam für die Seele. Ich habe die alternative Bloggerszene wachsen sehen. Von wortwörtlich einer Handvoll Bloggern zu Beginn sind wir auf heute mehr als 200 angewachsen, die überall auf der Insel – wenngleich vor allem in den Provinzhauptstädten – von ihrer Realität berichten, Alltagschroniken schreiben, kleine Eingaben. Sie alle wollen sich mit dem staatlichen Informationsmonopol nicht abfinden, das in Kuba schon seit so vielen Jahrzehnten besteht.

Dazu kommt, dass es seit etwas über einem Jahr ein weiteres wunderbares Werkzeug für uns gibt: Twitter. Die meisten Leute auf der Welt nutzen Twitter von ihrem Internetzugang aus oder von ihren Smartphones. Wir Kubaner haben eine kleine Lücke in der staatlichen Kontrolle entdeckt: Twitter kann man auch per SMS betreiben. Und so gibt es seit Mitte 2009 die Invasion einer kleinen Twittosphäre im Netz mit ihren Kurznachrichten, ihren Rettungsrufen und ihren Anklagen. Wir twittern aus Not: Ihr werdet nie einen alternativen kubanischen Twitterer sehen, der schreibt, wie lecker doch der Kaffee sei, den er gerade zum Frühstück trinkt, oder wie schön der Regenbogen nach dem Platzregen. Wir twittern auf 140 Zeichen Notrufe, Anklagen, dringende Bitten.

Damit komplettiert sich das Bild: Auch wenn die Regierung uns gern zum Schweigen bringen will, auch wenn sie uns bekämpft oder uns nicht reisen lässt, können sie doch nicht verhindern, dass unsere Stimmen auf der Welt gehört werden. Ihr dort drüben beschützt uns, indem ihr uns lest, uns zitiert, uns verlinkt oder indem ihr uns zu solchen Veranstaltungen wie dieser hier einladet. Nur aufgrund dieses Schutzes sind wir so weit gekommen.

Und ich habe den Eindruck, dass wir Blogger und Twitterer nicht mehr nur in der virtuellen Welt bleiben. Wenn ich durch die Straßen gehe, passiert es immer öfter, dass Leute mich erkennen. Oft werde ich um Kopien meines Blogs gebeten, oder jemand spricht mich auf einen Text von mir an, den er gelesen hat. Leute, die sich nicht trauen, mich offen anzusprechen, machen mir ein Zeichen oder zwinkern mir zu, als wollten sie sagen: Ich bin auf deiner Seite. All das scheint mir ein Beweis dafür, dass sie uns lesen. Das Einzige, was die kubanische Regierung damit erreicht hat, dass sie unsere Seiten wie desdecuba.com oder vocescubanas.com mehr als drei Jahre lang blockierte, war, dass der Wunsch, unsere Texte lesen zu können, immer größer wurde.

Ich glaube nicht, dass sie die Blogosphäre kontrollieren können. Heute freuen wir uns über Twitter – wer weiß, was es morgen gibt. Und das gibt Hoffnung.

Trotzdem bleibt eine Menge zu tun in der wirklichen Welt, dem Kuba, das man anfassen kann. Aber Stück für Stück lernen wir, uns in der virtuellen Welt wie Bürger zu bewegen.

Das ist die große Rolle, die Twitter, Facebook und so weiter in Kuba spielen, trotz aller Zensur. Das Internet erlaubt uns all das, was auf den öffentlichen Plätzen Kubas verboten ist. Und jemand, der den Geruch der freien Meinungsäußerung einmal kennengelernt hat, wird sich nie wieder diese Maske des Schweigens aufsetzen.

Ich bedauere sehr, dass ich nicht bei euch sein kann. Eines Tages werden wir Gelegenheit bekommen, die verlorene Zeit nachzuholen. Aber ich habe hier auch viel zu tun. Jeden Tag, den ich in Kuba bin, verschicke ich mehr Twitternachrichten, jeden Tag habe ich neue Ideen, und jeder Spaziergang durch Havanna gibt mir neues Rohmaterial für mein Schreiben. Und jeden Tag gibt es neue Blogger, denen ich die Technik beibringen kann. Und immer mehr Bürger, die das Twittern lernen.

So glaube ich, dass ihr Versuch, mich durch den Entzug der Reisefreiheit zu bestrafen, voll nach hinten losgegangen ist. Hier bin ich stärker, hier suche ich jeden Tag neue Wege, die Zensur zu umgehen.

Eine große Umarmung, bis bald, ich wünsche euch eine gute Veranstaltung und dass ihr uns dabei helfen könnt, unsere Stimmen zu verbreiten. Denn das bedeutet, klar und direkt, Schutz für uns.

Vielen Dank!

Übersetzung: Bernd Pickert

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