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POLITIKERAUFTRITTE IN DER INTERNETWELT „SECOND LIFE“ TAUGEN NICHTVirtuelle Anbiederung

Wie lässt sich beweisen, dass man den Bezug zum realen Leben nicht verloren hat? Durch den Schritt in die virtuelle Welt. Abgeordnete des Deutschen Bundestages wollen künftig regelmäßig im „Apfelland“ des Web-Simulationsspiels „Second Life“ zum Meinungsaustausch zusammentreffen. So sollen neue Formen der politischen Kommunikation im Netz erprobt werden. Sagen die – privatwirtschaftlich organisierten – Initiatoren der virtuellen Diskussion. Wenn das nicht echt cool ist.

Das ist nicht cool, das ist anbiedernd. Und zeugt wie jede Form der Anbiederei von mangelndem Selbstbewusstsein. Es gab eine Zeit, in der manche Pfarrer leere Kirchen zu füllen versuchten, indem sie Jugendlichen versicherten, Glaube und Jesus Christus spielten kaum eine Rolle. Es gehe vor allem darum, gemeinsam eine gute Zeit zu haben und Musik zu hören. Guido Westerwelle, FDP, begab sich vor einigen Jahren als Gast in die damals umstrittene Fernsehsendung „Big Brother“. Und redete dort unheimlich locker mit den Kandidaten. Voll fett war das. Fanden seine Anhänger.

Die Begründung für derlei Albernheiten ist stets dieselbe: man müsse die Jugendlichen – die Zuschauer – die Spieler – die Webnutzer „dort abholen, wo sie stehen“. Sie stehen aber gar nicht. Sie bewegen sich: im Netz, hin zur Fernbedienung und weg vom Fernseher, in die Disco oder in die Kirche. Sie sind politisch interessiert oder nicht, gläubig oder nicht. Und möchten im Regelfall gerne selbst entscheiden, wann sie welchen Teil ihrer Persönlichkeit ausleben.

„Second Life“ ist ein Rollenspiel, das sich allmählich zum Glücksspiel entwickelt. Wer meint, man müsse die Teilnehmer überlisten, um ihr Interesse für das eigene Thema zu wecken, zeigt damit nur, dass er die Anziehungskraft dieses Themas für allzu gering hält, um aus sich selbst heraus Zugkraft zu entwickeln. Wenn demokratisch gewählte Abgeordnete meinen, das gelte für die Politik, dann gibt es Grund zur Sorge. Das ist weit bedrückender als die Tatsache, dass sich ein Teil der Bevölkerung halt nicht für Politik interessiert. Als ob das je anders gewesen wäre. BETTINA GAUS

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