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Karma-Express in Richtung Kraljevec

RUNDER GEBURTSTAG Die Anthroposophen feiern 2011 den 150. Geburtstag ihres Gründervaters, von Dornach bis nach Berlin: Ein Fahrplan durch das Steiner-Jahr

Als linke Hasen rennen wir uns die Hacken ab, doch der Anthro-Igel sagt: Ich bin schon da

VON ANSGAR WARNER

„Als linke Hasen rennen wir uns nach den sozialistischen Träumen die Hacken ab, und wenn wir wo hinkommen, steht da oft ein anthroposophischer Igel und sagt: Ätsch, ich bin schon da“, schrieb Joseph Huber im Kursbuch 55 (1979). Das gilt dreißig Jahre später umso mehr. Im Alltagsleben sind viele Ideen des vor 150 Jahren geborenen Begründers der Anthroposophie inzwischen fest verankert, vom Waldorfkindergarten über den Demeter-Bauernhof bis zum ethisch wirtschaftenden Bankinstitut.

„Wo die heutige Linke mit lautem Getöse relativ wenig erreicht, schaffen die Anthroposophen im Stillen viel“, bilanzierte Huber damals. Gerade Letzteres stimmt allerdings wohl immer noch – Steiners Adepten scheinen sich vielerorts etwas eingeigelt zu haben. Zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner bemüht sich die anthroposophische Bewegung nun aber um mehr mediale Präsenz. Verschiedene Ausstellungsevents und Ortstermine in Deutschland, Österreich und der Schweiz sollen 2011 zum Rudolf-Steiner-Jahr machen. Sinnvoll ist das wohl schon deshalb, weil zu den wichtigsten Orten im Leben (bzw. Nachleben) Steiners bis heute nicht nur München und Berlin, sondern ebenso Wien und das schweizerische Dornach gehören.

Einen guten Überblick für Interessierte bietet ein eigens gestarteter „Fahrplan durch das Steiner-Jahr“ im Internet (www.rudolf-steiner-2011.com). Speziell zu Veranstaltungen in Berlin informiert die Website der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland (www.agberlin.de). Der „Fahrplan durch das Steiner-Jahr“ führte gleich im Februar tatsächlich auf die Gleise. Ein eigens gecharteter Interregio machte sich im Februar von Köln aus in Richtung Wien auf den Weg – inklusive Speisewagen, in dem man sogar Zigaretten der Marke Waldorf-Astoria erwerben konnte. „Intern wurde der Rudolf-Steiner-Express schon im Vorfeld in ‚Karma-Express‘ umgetauft, weil die Zusammensetzung seiner Passagiere in dieser Hinsicht vielversprechend war“, so der Journalist Claudius Weise in seinem Reisetagebuch für das Magazin info3.

Mit an Bord war auch Professor Karl-Dieter Bodack, bekannt für die Schaffung des organischen Interregio-Designs, das sich von Rudolf Steiners Kunst- und Architekturimpuls inspirieren ließ. Einen Abstecher machte der „RS Rudolf Steiner 150 Express“ nach Kraljevec. Der 4.000-Seelen-Ort mit kleiner Bahnstation, in dem Steiner am 27. Februar 1861 geboren wurde, liegt heute in Kroatien. Auch Steiners Geburtshaus ist dort noch erhalten. Das bescheiden wirkende Gebäude trägt mittlerweile eine Marmortafel: „Rudolf Steiner wurde hier geboren am 27. Februar 1861 als Kind eines Eisenbahners.“

Die zentralen Events der Reise fanden dann allerdings einige Zugstunden weiter westlich in Wien statt – eine der Veranstaltungen zu Ehren des „bedeutenden österreichischen Philosophen“ sogar im legendären Café Griensteidl, zu dessen Stammgästen gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Steiner selbst gehört hatte. Im Sommer dürfen sich die Wiener dann über die Ausstellung „Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags“ freuen, die zuletzt in Wolfsburg gezeigte große Retrospektive ist nämlich ab 22. Juni im Wiener Museum für angewandte Kunst zu sehen.

Neben Wien gehört Berlin zu den Städten, in denen das Steiner-Jahr besonders ausgiebig gefeiert wird. Auch das passt natürlich, denn die Stadt gehörte neben Wien und München zu Steiners wichtigsten Wirkungsstätten. Das Veranstaltungsprogramm des Arbeitszentrums Berlin der Anthroposophischen Gesellschaft glänzt dabei mit drei besonderen Höhepunkten. So gibt es am 25. Juni den Aktionstag „Anthroposophie erleben“ am Kulturforum zwischen Nationalgalerie und Philharmonie. Hier werden sich unterschiedlichste Institutionen mit Waldorf-Hintergrund vorstellen, vom Eurythmisten im fließenden Gewand bis zum seriös gekleideten Ökobänker.

Ein besonderes künstlerisches Highlight kann man dann im August in der Galerie ForumFactory (Berlin-Kreuzberg) erleben. Hier werden ab 14. August die berühmten Glasfenster aus dem ersten Goetheanum-Bau gezeigt. Eine echte Premiere, denn die von der russischen Künstlerin Assja Turgenieff Anfang der 1920er Jahre entworfenen Unikate waren bisher noch nie außerhalb von Dornach zu sehen. Wer die Geistrealität nicht nur im Farbenweben erleben möchte, sollte sich die Tage vom 1. bis 3. Oktober vormerken. Dann lädt der Kongress „Anthroposophie in Bewegung“ dazu ein, Steiners Lehre mit einführenden Vorträgen und vertiefenden Seminaren „durch die Tore der Praxisfelder“ kennenzulernen.

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