: Ein unverdienter Glücksfall
Heute will Hamburgs SPD ihre Krise beenden und den Publizisten Michael Naumann zum neuen Hoffnungsträger küren. Einige blutige Nasen aber wird es geben – vor allem die von Johannes Kahrs
Von Sven-Michael Veit
Das Feixen kann Olaf Scholz sich nicht verkneifen. „Alles wird gut“, frohlockt der Chefkoordinator der SPD-Bundestagsfraktion. Drei Stunden lang steht Scholz am Donnerstagabend unauffällig ganz hinten im Saal beim Parteitag seines Heimatkreises Hamburg-Altona. Aufmerksam lauscht er, wie die Basis mit teils deftigen Worten auf die vermeintlich Schuldigen an den wochenlangen Grabenkämpfen einprügelt. Zufrieden registriert er, dass sie danach trotzdem ihrer Kreisvorsitzenden Kristin Alheit fast einstimmig das Vertrauen ausspricht. Erfreut ist er über die stehenden Ovationen für den neuen Hoffnungsträger Michael Naumann, der die Beilegung des „Familienkrachs“ einfordert. Am Ende, kurz vor 23 Uhr, ist der ehemalige Vorsitzende der Hamburger SPD bester Laune: „In drei Monaten“, glaubt Scholz, „ist der ganze Schlamassel vergessen.“
Eine kühne Prognose, die bereits heute auf ihren Realitätsgehalt getestet wird. Beim Landesparteitag, auf dem Naumann zum Gegenspieler von CDU-Bürgermeister Ole von Beust gekürt und die gesamte Parteiführung runderneuert werden soll. Bundesprominenz im Dreierpack eilt extra herbei, um der zerstrittenen Sozialdemokratie an der Elbe wieder auf die Beine zu helfen. Alt-Kanzler Gerhard Schröder will seinem ehemaligen Kultur-Staatsminister Naumann den Rücken stärken, Parteichef Kurt Beck wird den Genossen gewichtig ins Gewissen reden, und auch Generalsekretär Hubertus Heil ergreift das Wort.
Vor vier Wochen hatte Beck ihn nach Hamburg geschickt, um die Machtkämpfe in der Hanse-SPD zu beenden. Deren unrühmlicher Tief- und Endpunkt war der noch immer nicht aufgeklärte Stimmenklau aus der Wahlurne, der die Mitgliederbefragung über die Spitzenkandidatur auf unerwartete Weise beendete. Beide KontrahentInnen, Noch-Parteichef Mathias Petersen und seine Stellvertreterin Dorothee Stapelfeldt, müssen zurück ins zweite Glied.
Heil kehrte mit dem Verdacht nach Berlin zurück, dass nicht wenige Hamburger Spitzengenossen „einen Dachschaden“ hätten. Wenn er heute zum Parteitag wieder kommt, sollte er Verbandszeug mitbringen. Denn ganz ohne blutige Nasen wird dieser Tag kaum zu Ende gehen.
Die von Naumann wird nicht ramponiert werden. Auch nicht die von Ingo Egloff, der neuer Parteichef werden wird. Altonas Kreischefin Alheit ist bereits mit einem blauen Auge davongekommen, ihr Mitstreiter aus dem Parteikreis Eimsbüttel, Jan Pörksen, hat davon zwei. Mit nur einer einzigen Stimme Mehrheit hat Pörksens Basis ihren Kreischef für den Landesvorstand nominiert – knapper kann man dem eigenen Rücktritt nicht entgehen. Zur Schlachtung aber steht Johannes Kahrs an.
Der Vorsitzende in Hamburg-Mitte, im Bundestag Sprecher der parteirechten Kungelrunde Seeheimer Kreis, gilt vielen Hamburger SozialdemokratInnen als intriganter Königsmörder. Einige verdächtigen den Petersen-Gegner gar, hinter dem Stimmenklau zu stecken, um den absehbaren Sieg des Noch-Parteichefs bei der Basisbefragung zu vereiteln. So ehrenrührig diese Vermutung sein mag, so deutlich belegt sie die an Hass grenzende Antipathie: „Das System Kahrs muss gestoppt werden“, fordert eine Altonaer Sozialdemokratin unter großem Beifall, zeitgleich äußern sich die Harburger GenossInnen „einhellig genauso“, wie Kreisgeschäftsführer Rüdiger Schulz berichtet.
Laut Satzung könne die Landespartei nicht gezwungen werden, Kahrs im Vorstand zu akzeptieren, glaubt Schulz. Üblicherweise werden die Kreischefs vom Landesparteitag als Vorstandsmitglieder rein formal bestätigt, Kahrs traditionell erst im zweiten Wahlgang. Wenn er heute durchfällt, geht der Zoff jedoch weiter. Unabhängig davon, dass Naumann mit einem sehr guten Resultat zum Spitzenkandidaten ernannt werden wird. Denn der sei, sagt Schulz, „ein unverdienter Glücksfall für uns“. Ehe aber die Partei seine Mahnung, den Krach zu beenden, befolgt – gibt es erst noch was auf die Nase des Johannes.
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