piwik no script img

Oberkungler in der Hauptstadt

Was wird aus Wolfgang Reinhart, dem baden-württembergischen CDU-Oberkungler in Berlin? Der interpretiert seinen Jobverlust als große Freiheit. Derweil wird spekuliert, welcher Grüne die Landesvertretung von Baden-Württemberg künftig leiten könnte. Ein Bericht aus Berlin

von Hans Peter Schütz

Schwetzinger Stangenspargel, Sauce Hollandaise, roher und gekochter Schinken, Kratzete (was die meisten Gäste nicht aussprechen konnten) und Kartoffeln. Eigentlich war es wie immer, das Spargelfest in der Berliner baden-württembergischen Landesvertretung. Und entgegen den – politischen – Befürchtungen der 200 Geladenen gab es keinen grünen Spargel, wenngleich auf der Speisekarte auch ein halber grüner Spargel abgebildet war.

Aber weil halt alles neu ist im Ländle, durften bei der 27. Auflage der Edelparty auch ein paar freche Sprüche aufgetischt werden. Da trat der Kabarettist Christoph Sieber, geboren in Balingen und damit eindeutig Zentralschwabe, ans Mikrofon und rügte, dass die FDP mit Gesundheitsminister Philipp Rösler einen Arzt zum Parteivorsitzenden gemacht hat. „Ein Priester wäre für die FDP angemessener gewesen“, spottete er, „wegen der bald fälligen letzten Ölung.“

Das Publikum applaudierte begeistert, nur der christdemokratische Hausherr Wolfgang Reinhart, Minister für Bundes-, Europa- und internationale Angelegenheiten, gestattete sich lediglich ein kleines Lächeln. Als Sieber aber über die inzwischen „drei Wochen Demokratie in Baden-Württemberg“ schwärmte und den Rat gab, Exministerpräsident Stefan Mappus doch nach Brüssel zu entsenden, einer seit Günther Oettinger sehr bewährten „Endlagerstätte für baden-württembergische Politiker“, da machte Reinhart aus seiner Gemütslage kein Geheimnis. Da er den Verlust der Macht in Stuttgart nicht nur der japanischen Kernkraftkatastrophe, sondern auch dem CDU-Kandidaten Mappus anlastet, schlug er sich bei diesem Satz laut lachend auf die Schenkel.

Leitet bald Alexander Bonde die Landesvertretung in Berlin?

Reinhart, die Frohnatur aus dem Taubertal, nahm den Machtverlust hörbar leicht. „Wenn der neue Ministerpräsident kommt, dann beginnt für mich die Freiheit“, schwärmte er von seiner politischen Zukunft. Er habe ja schon vor der Landtagswahl den Slogan propagiert: „Es geht um Sieg oder Freiheit“. Diese Freiheit könne er jetzt genießen in der Opposition, und schön sei es doch, „wenn man auch mal was anderes machen kann“. Er freue sich jedenfalls auf die Opposition und kündigte die Rückeroberung der Macht in fünf Jahren an: „Wir sagen nicht Adieu, sondern auf Wiedersehen.“

Eine wichtige Beigabe zum Spargelessen war das Tischgeflüster darüber, wer denn nun als Reinharts Nachfolger künftig die schwäbische Politik in Berlin steuern wird. Reinhart selbst kann sich nicht vorstellen, dass der vorgeschobene Beobachter der Bundespolitik von Ministerpräsident Winfried Kretschmann kein Grüner ist. Genannt wird der Name des Freiburgers Alexander Bonde, der seit 2002 für die Grünen im Bundestag sitzt. Die SPD hofft, so die Spekulation, den baden-württembergischen SPD-Generalsekretär Peter Friedrich wenigstens als Staatssekretär an der Seite des neuen Landesbevollmächtigten unterzubringen, um sich intimeren Zugriff auf die politischen Winkelzüge vor allem im Bundesrat zu sichern.

Unstrittig ist, dass künftig der Einfluss Baden-Württembergs auf die Bundespolitik wesentlich geringer sein wird als bisher. Denn Reinhart war bisher einer der wichtigsten Berliner Strippenzieher: Er lud an den Mittwochen der Woche vor Sitzungen des Bundesrats Vertreter aller anderen CDU-Länder zu einer „Kaffeerunde“ in die Landesvertretung, um schon einmal die politischen Positionen vorzuklären. Am Donnerstag vor jedem Sitzungstag des Bundesrats frühstückte er mit allen CDU-Ministerpräsidenten der anderen Länder, ließ über die bis zu 60 Punkte der nächsten Sitzung des Bundesrats probehalber abstimmen und legte dann die Streitfragen am Abend der „Kaminrunde“ vor.

Vielleicht machen die Grünen ihre eigene Hinterzimmerpolitik

Gustav Wabro, selbst lange Chef der Landesvertretung und zu Lothar Späths Zeiten „Erfinder“ des Spargelessens, nennt die Kaminrunde „das wichtigste Gremium in der Abstimmung der Politik zwischen Bund und Ländern“. Denn bei ihr kommen alle CDU-Ministerpräsidenten, die Kanzlerin und CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder zusammen, um zu entscheiden, wie man im gemeinsamen Interesse der CDU-Länder im Bundesrat stimmen werde.

Es war Reinhart, der der Kanzlerin in diesen Runden das politische Geschäft erleichterte. Jetzt wird ein ihm vergleichbarer schwäbischer Strippenzieher dringend gesucht. Der neue Chef in der Landesvertretung wird diese politische Koordinatorenrolle nicht haben. Die Kungelei in Berlin wird für die Länder ohnehin schwieriger, weil noch unklar ist, wo sich das grün-rote Baden-Württemberg einsortiert: Bei den so genannten A-Ländern, die einen SPD-Regierungschef haben, oder bei den B-Ländern, die schwarz regiert werden. Grüne Ministerpräsidenten sind in dem Schema eigentlich nicht vorgesehen. Die SPD würde Kretschmann gerne bei den A-Ländern einreihen, die künftig „Beck-Runde“ nach dem rheinland-pfälzischen SPD-Regierungschef Kurt Beck heißen soll. Aber vielleicht schmückt Kretschmann alsbald die so genannte G-Runde, in der grüne Landesminister unter Führung des grünen Fraktionsgeschäftsführers Volker Beck mit Blick auf den Bundesrat ihre Hinterzimmerpolitik betreiben.

Wer auch immer als neuer Hausherr in die Landesbotschaft in der Berliner Tiergartenstraße einzieht, er steht vor vielen Herausforderungen. Im politischen Revier muss er einen FDP-typischen Vorstoß der Freiburger Jungen Liberalen abschmettern, die sich mit der Forderung profilieren wollen, die Landesvertretung dürfe sich als „Staatsbetrieb“ nicht als Konkurrenz zu privaten Hotelbetrieben missbrauchen lassen. Ein überaus unschwäbischer Vorstoß. Denn erstens verdient das Land mit der Vermietung von Zimmern Geld. Zweitens kann man in der Landesvertretung, in zentraler Berliner Lage, für 38 Euro im Einzelzimmer extrem günstig übernachten. Vor allem die baden-württembergischen Bundestagsabgeordneten quartieren ihre Gäste dort bevorzugt ein, obwohl es sich aus der Sicht der Jungen Liberalen bei der Landesvertretung um eine Einrichtung im „deutschsprachigen Ausland“ handelt.

Das Ansehen der Schwaben in Berlin ist desaströs

Ungleich mehr Stehvermögen wird dem neuen Schwabenchef in Berlin bei einem ganz anderen Problem abverlangt: Das Ansehen der Schwaben in Berlin ist desaströs. Als das Stadtmagazin Zitty die Berliner nach ihrem Lieblingsfeindbild abfragte, kam als Protagonist der „Porno-Hippie-Schwabe“ mit klarer Mehrheit heraus.

Wie die Wortschöpfung zu erklären ist, konnte nicht eindeutig geklärt werden. Der Professor Hartmut Häußermann, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität, ein geborener Waiblinger, vermutet, dass der Zorn angefacht wird, weil die Schwaben in Berlin im Bereich der Altbausanierung besonders aktiv sind, was meist mit einer Mieterhöhung endet. Andreas Schütze, bis vor kurzem Ministerialdirektor in der Landesvertretung in Berlin, hat eine realistischere Einschätzung der schwabenfressenden Haltung vieler Berliner: „Andere haben früher die Häuser besetzt, wir kaufen sie eben.“ Schütze ist jetzt nach Stuttgart zurückversetzt worden.

Hans Peter Schütz ist Schwabe und lebt als Autor in Berlin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen