piwik no script img

Super-GAU für die goldene Generation

BASKETBALL WM-Gastgeber Spanien scheitert bereits im Viertelfinale gegen Frankreich und erzielt beim 52:65 eine historisch miserable Punkteausbeute. Ein Debakel – zumal im Land alle vom Titelgewinn überzeugt waren

Als sie die Sprache wiedergefunden hatten, forderten die Zuschauer den Abtritt von Nationaltrainer Juan Antonio Orenga

VON FLORIAN HAUPT

Auf den Tribünen des Madrider Palacio de los Deportes herrschte noch Paralyse, die Spieler standen verloren auf dem Parkett, und das Fernsehen interviewte Iker Casillas. Was natürlich irgendwie passte, bei vielen Spaniern allerdings auch den Eindruck verstärken musste, soeben einem schlechten Remake beigewohnt zu haben. Eher noch überraschender und kein bisschen weniger kläglich als die Kicker vor drei Monaten in Brasilien waren die Basketballer bei der ersehnten Heim-WM gescheitert. Erste Einordnung des Fußball-Kapitäns: „Das weckt natürlich böse Erinnerungen. Dieses Jahr hatten wir irgendwie alle kein Glück.“

In der Presse wurde das Debakel anderntags mit dem 1:7 der Brasilianer von Belo Horizonte gegen Deutschland verglichen, aber damit auch genug der Parallelen zu einem anderen Ballsport, denn dieses 52:65 gegen Frankreich steht ja letztlich für sich. „Guillotiniert“, titelte Marca über die „traurigste Nacht in der Geschichte des spanischen Basketballs“, die sich „der größte Pessimist nicht hätte ausmalen können“. Das war immerhin ehrlich, denn die Medien waren es ja nicht zuletzt gewesen, die Spanien bei dieser WM als nicht oder allenfalls von den USA schlagbar hinstellten. „Für alle Welt hatten wir das Turnier ja schon vor dem ersten Ball gewonnen“, sagte Kapitän Juan Carlos Navarro, als er sein Pendant Casillas am Mikro ablöste.

Zu aller Welt gehörte aber offenbar auch das eigene Team und seine Trainer, denn Navarro erklärte zudem: „Es ist völlig klar, dass wir dieses Spiel nicht so gut vorbereitet haben, wie es sich gehört.“ Spanien war grandios in die Falle getappt.

Die Franzosen – ohne ihre Stars Tony Parker und Joakim Noah bei der WM – wie auch ihr Halbfinalgegner Serbien waren in der Gruppenphase von den Gastgebern locker demontiert worden und ließen davor wie danach keine Gelegenheit aus, die spanische Übermacht zu betonen. „Wir waren uns zu sicher“, sagte Navarro. Er weiß ja eigentlich: Gruppenspiele sind beim Basketball immer das eine, K.-o-Spiele etwas sehr anderes. Während bei den Einheimischen angesichts ihres Spaziergangs durch das Turnier der Eindruck wuchs, wie sonst nur die USA ihre Gegner überpowern zu können, präparierten die Franzosen eine Lektion in europäischem Basketball.

In dem geht es seit jeher um kühlen Kopf, um Strategie und List, Defensive und Geduld. Um einen kohärenten „Game Plan“. Derjenige Frankreichs sah vor, die eigenen Angriffe bis zum Maximum auszuspielen, nie Räume für Gegenstöße zu öffnen, keinen Rhythmus aufkommen zu lassen, das Ergebnis niedrig und eng zu halten. „Wenn wir dranbleiben, verlieren sie, das wussten wir“, sagte Nicolas Batum. Als Spanien erstmals im Turnier auf echte Gegenwehr stieß, fehlte die Wettkampfhärte und wandte sich der vermeintliche Heimvorteil in Versagensangst und Hektik. Derweil auf der anderen Seite der Parker-Ersatz Thomas Heurtel immer die Ruhe im Aufbau behielt, Boris Diaw seine enorme Variabilität zur Aufführung brachte und Florent Pietrus zur rechten Zeit den Bad Boy gab, als er im dritten Viertel während Spaniens einzig guter Phase einen Tumult provozierte, der jeden Spielfluss gleich wieder unterband.

Am Ende funktionierte das alles so gut, dass es nicht mal knapp wurde. Wo Frankreich mit Parker voriges Jahr Spanien ohne Pau Gasol und Navarro im EM-Halbfinale erst nach Verlängerung schlug, kontrollierte es diesmal das letzte Viertel fast nach Belieben. Geradezu irreal wirkte insgesamt die Rebound-Statistik: 50:28 gegen die Gasols und den weiteren Weltklasse-Center Serge Ibaka. Ebenso surreal erschienen Spaniens jämmerliche 52 Punkte: Das Team, das auserkoren war, die USA zu besiegen, erzielte nicht mal die Hälfte der Zähler, mit denen die Amerikaner tags zuvor Slowenien auseinandergenommen hatten. Die goldene Generation, die sich bei der Heim-WM krönen sollte, verlässt Madrid mit der schlechtesten Punktausbeute einer spanischen Nationalmannschaft in einem Spiel seit 1968.

Als sie die Sprache wiedergefunden hatten, forderten die Zuschauer den Abtritt von Nationaltrainer Juan Antonio Orenga. Gehen werden aber womöglich vor allem Stars wie Pau Gasol und Navarro, beide 34. Zum Finale ihrer großen Epoche mit dem WM-Titel 2006, zwei Olympiafinals und zwei EM-Siegen bleibt die Erkenntnis, dass dieses Spanien eben trotzdem keine „ÑBA“ war, wie die Presse gern schrieb. Sondern eine europäische Basketballnation, verwundbar und jetzt auch sehr verwundet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen