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NETFLIX KOMMT, DOCH DAVON WOLLEN SICH DIE PRIVATEN TV-SENDER DIE PARTY NICHT VERDERBEN LASSENGusseisernes Fernsehen

JÜRN KRUSE

Tuschel, tuschel, tuschel, „Netflix“, tuschel, tuschel, tuschel, „und jetzt denken alle“, tuschel, tuschel, tuschel, „Revolution“. Stille. „Hahahahaha.“

Schön war’s auf dem Sommerfest des VPRT, der Lobbyorganisation der privaten Fernsehsender. Nur fühlte es sich manchmal so an wie auf dem Treffen der Hersteller von Gusseisen-Badewannen in den späten 50er Jahren. Emaillierte Wannen? Hahaha. Der Schrott setzt sich nie durch. Darauf einen Schluck aus unseren gusseisernen Bechern. Hahaha.

Die Stoßrichtung der Privatsenderbranche gab Verbandschef und RTL-Mann Tobias Schmid vor: „Die Kernaussage: Es geht uns gut“, sagte er zur Eröffnung der Feier.

Bloß: Wie lange noch?

Natürlich ist das Bohei übertrieben, das jetzt überall gemacht wird, wenn es heißt: Netflix kommt! (Ein Ausrufezeichen am Ende des Satzes ist bei dem Bohei eigentlich viel zu wenig, also: !!!!!) Die Fernsehrevolution ist schon viel zu oft beschworen worden, um sich nun eingenässt auf dem Boden herumzurollen. Der große Umbruch wurde früher alle zwei Jahre auf der IFA angekündigt, aber das interaktive Powerfernsehen konnten die Supersender DF1 und Premiere World dann doch nicht bieten.

Aber jetzt kommt ja Netflix!!!!! Das würde der Stoß ins Herz des Fernsehbiedermeiertums, prognostizieren die Prognostiker.

Wählen also bald alle Zuschauerinnen und Zuschauer ihr Lieblingsprogramm selbst aus? Hilft uns ein von extrem schlauen Menschen programmierter Algorithmus dabei, die stets optimale Fernsehsendung zu finden? Gibt es demnächst überhaupt noch lineares Programm?

Die Antworten: Nein, nein, ja. Oder für den Netflix-Algorithmus: 0, 0, 1.

Denn dafür gibt es einfach noch zu viele Lebenssituationen, in denen es schön ist, dass einfach irgendwas läuft, auf das man mit einem Auge schielen oder dem man mit einem Ohr lauschen kann, aber auch kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man es von jetzt auf gleich ausschaltet.

Revolution also wieder einmal verschoben. Doch die Veränderung des Fernsehkonsumverhaltens ist unaufhaltsam. Und so beschleicht einen das Gefühl, dass die Branche, die hier gerade um einen herumfeiert, ihre Kernaussage verbreitet und sogar die Bundeskanzlerin als Gratulantin gewinnen konnte, gerade einen nur kurz haltenden Zug verpasst.

Die Fünftagevorschau | Kolumne@taz.de

Montag Anja MaierZumutung

DienstagDeniz YücelBesser

MittwochMartin ReichertErwachsen

DonnerstagAmbros WaibelBlicke

FreitagMichael BrakeNullen und Einsen

Die Fernsehgewohnheiten haben sich schon geändert. Es wird gerade eine Generation erwachsen, die womöglich nicht – wie die Generationen vor ihr – wieder zum linearen Glotzen zurückkehren wird, wenn nur erst mal die Kinder geboren sind, das Haus gebaut und die Badewanne installiert ist.

Die Menschen haben übrigens auch in den 60er Jahren weiterhin gebadet. Nur halt nicht mehr in Wannen aus Gusseisen. Dem Emaille wird aber mittlerweile auch hart zugesetzt. Vom Kunststoff.

Ach so: Baden tun die Menschen natürlich immer noch. Mit Tablets in der Hand, auf denen selten RTL oder ZDF läuft.

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