: Chinesische Enteignung ohne Hammer
Das Bild ihres Häuschens in einer metertiefen Baugrube im Südwesten Chinas war um die Welt gegangen. Nachdem ein Gericht ihnen 95.000 Euro Abfindung zusprach, räumten die Besitzer des „Nagelhauses“ gestern schließlich ihr Domizil
AUS PEKING GEORG BLUME
Widerstand lohnt sich. Diese für das heutige China seltene Botschaft stammt von einem Bezirksgericht in der südwestchinesischen Millionenmetropole Chongqing. Dort wurde gestern einem Restaurantbesitzerpaar nach drei Jahren Widerstand gegen ein Immobilienprojekt die sensationell hohe Entschädigungssumme von 1 Million Yuan, umgerechnet 95.000 Euro für Umzugskosten und Geschäftsverluste zugesprochen. Außerdem bekommt das Paar ein Haus von wesentlich höherem Wert als sein altes.
Das bisherige Heim der beiden, das gestern den Planierraupen zum Opfer fiel, war als „Nagelhaus“ bekannt geworden. Die Wirtin Wu Ping und ihr Mann Yang Wu, ein Kungfumeister, genießen inzwischen Kultstatus in China. Als letzter von 280 betroffenen Haushalten hatten sie sich geweigert, ihren kleinen zweistöckigen Ziegelbau zu räumen, um den Baggern einer großen Immobilienfirma Platz zu machen. Diese hatten bereits einen 17 Meter tiefen Graben rund um das kleine Restauranthäuschen ausgehoben – Meister Yang harrte die letzten Wochen ohne Wasser und Strom aus.
Das groteske Bild von der kleinen trotzigen Hütte machte nicht nur im chinesischen Internet die Runde. Bald stiegen auch die Staatsmedien auf die David-gegen-Goliath-Symbolik ein, die so schön zum kürzlich in Peking verabschiedeten neuen Eigentumsgesetz passte, das gerade Hausbesitzern mehr Rechte zugestehen soll. Währenddessen heftete Meister Yang selbstbewusst die Parole „Das legale Eigentum der Bürger ist unverletzlich“ an sein Ziegelhaus. Das Besitzerpaar besaß zudem alle relevanten Eigentumsurkunden, die in China nicht leicht zu besorgen sind. In vielen Fällen sind die Enteigner schon deshalb im Vorteil, weil das noch neue, erst in den letzten Jahren entstandene Privateigentum behördlich nicht exakt festgestellt ist.
Vor allem aber hatten Wu und Yang das Volk hinter sich. Millionen chinesischer Bauern sind wütend über die geringen Entschädigungssummen, die ihnen für ihre von Feldern zu Fabrikanlagen verwandelten Böden zugestanden wurden. Das wiederum bereitet der Pekinger Zentralregierung Sorge, die die Wut der Bauern fürchtet und die oft brutale Praxis der Lokalregierungen bei der Landenteignung parteiintern als gesetzlos anprangert. Genau deshalb war Peking auch das neue Eigentumsgesetz so wichtig. Mit ihm will die Regierung nicht nur die Landrechte der Bauern stärken, sondern die neue städtische Mittelschicht in Sicherheit vor Immobilienhaien wiegen.
Der Widerstand von Wu und Yang passte also vielen in den Kram. Dass er erfolgreich war, ist dennoch erstaunlich. Als „bedeutendster Nagel in der chinesischen Immobiliengeschichte“ hatten die Medien den Prozess beschrieben. Der Nagel steht in China für Dinge, auf die man mit dem Hammer einschlägt. Dass das parteigeführte Gericht in Chongqing den Hammer einpackte und die kleinen Leute als Gewinner fortziehen ließ, lässt hoffen, dass es die KP mit dem Eigentumsschutz ernst meint.
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