: Kommunizierende Wolken
KUNST Yumiko Hegenbart-Matsui lässt Linien und Flächen in einen spannungsreichen Dialog treten. Und manchmal auch mit Musik. In Bremen zeigt sie neue Arbeiten
VON ANDREAS SCHNELL
Angefangen hat sie ganz klassisch, mit Ölgemälden, damals in Tokio in der Kunsthochschule. Aber das befriedigte Yumiko Matsui nicht. Nebenher begann sie, mit Tinte in ihr Skizzenbuch zu zeichnen. In ihrem Studium beschäftigte sie sich außerdem mit 8-mm-Filmen, animierte in Stop-Motion-Technik Objekte – auch davon ist, zumindest oberflächlich betrachtet, in ihren neueren Arbeiten nicht viel übrig geblieben.
Vom Nebenher, vom Zeichnen also, dafür umso mehr. Nachdem der Musiker F. S. Blumm einen ihrer Scherenschnitte gesehen hatte, fragte er die Künstlerin, ob sie nicht ein Plattencover für ihn gestalten wolle. Das Ergebnis ist auf dem Album „Sesamsamen“ zu besichtigen, das 2004 in Japan erschien. Und noch ein paar Jahre zuvor gestaltete sie das Artwork des Oval-Albums „Re:systemisch“ (2001). Beide Arbeiten weisen bereits Züge auf, die das Werk der mittlerweile in Berlin lebende Künstlerin heute noch prägen: klare Linien und klare Flächen, die miteinander in beredtem Dialog stehen. Während die Farben, oft nur eine pro Bild, ebenmäßig aufgebracht sind, entwickeln die Linien umso stärkere Dynamik.
Die Künstlerin, die seit ihrer Heirat mit dem Musiker Boris Hegenbart Hegenbart-Matsui heißt, bezeichnet diese Dynamik ihrer Linien als emotional. Eine Emotionalität, die noch durch Titel wie „Liebe“, „Kino“, „Rememberance“ verstärkt wird, die zugleich auf eine zweifelhafte Fährte locken. Schließlich sind wir es gewohnt, zu derart großen Themen Geschichten erzählt zu bekommen, wenn schon keine großen, dann doch solche, die das Große im Kleinen zur Entdeckung freigeben.
Allerdings: Auch wenn die Bilder, die seit gestern Abend und noch bis zum 19. Oktober in der Ausstellung „Hinterhof im Hinterkopf“ zu sehen sind, wegen ihrer sichtlich unterschiedlichen Techniken recht eindeutig in Gruppen einteilen ließen und so den Verdacht nähren könnten, sie stellten wiederum in sich nicht nur einen formalen, sondern auch einen inhaltlichen Zusammenhang dar, so verflüchtigt sich der so schnell, wie man ihn entdecken möchte.
Könnte man sich mit ein wenig Fantasie in einem skurrilen Kosmos voller ulkiger Gestalten wähnen, die sich in einer eigentümlichen, anscheinend naiven Landschaft bewegen, entwickelt viel mehr jedes einzelne Bild eine Narration – mit offenen Enden und bisweilen beunruhigenden Einzelheiten. Arme können sich da bis ins Unwahrscheinliche dehnen, Bäume verwandeln sich vor unseren Augen in Menschen (oder so etwas ähnliches), und Menschen, die statt Köpfen Teetassen auf den Schultern tragen, scheinen durch Wolken miteinander kommunizieren zu wollen, in denen augen- und mundlose Homunculi zu entdecken sind.
Ob die Kommunikation gelingen wird? Hegenbart-Matsui wäre die letzte, die uns das erzählen würde. Ihr gefalle die Unklarheit ihres Publikums darüber, ob es sich bei ihren Siebdrucken nun um eine Serie oder um Einzelbilder handele. Sie interessiert sich viel eher für die Balance zwischen der Emotionalität der Linie und der Sachlichkeit der Fläche. Und erwähnt, um das zu illustrieren, Buster Keaton, jenen großen Schauspieler, der auch als Mann, der niemals lachte, bekannt war. Und natürlich seine komische Wirkung nicht zuletzt genau damit erzielte.
Inwieweit sich diese Balance auch in der Zusammenarbeit mit Gatte Boris Hegenbart erzielen lässt, ist heute ab 20 Uhr im Projektraum 404 zu überprüfen: Hegenbart, auch unter dem Namen TAU tätig, konfrontiert bevorzugt synthetische Sounds mit Klängen aus der „echten“ Welt. In der gemeinsamen Performance gilt es, das Bild und den Klang im Gleichgewicht zu halten.
■ „Hinterhof im Hinterkopf“: bis 19. Oktober; Sound-Performance mit Visuals: heute (Samstag), 20 Uhr; Projektraum 404, Hegelstraße 38
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