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„Verlieren ist auch schön“

21 Jahre Sport sind genug, sagt Brustschwimmer Mark Warnecke. Am Wochenende bestreitet der 37-Jährige sein letztes Rennen. Sorge, dass der Sport ihm fehlen wird, hat er nicht. Die Erleichterung darüber, der Atmosphäre des Misstrauens im Schwimmverband entfliehen zu können, überwiegt

INTERVIEW JUTTA HEESS UND MARKUS VÖLKER

taz: Herr Warnecke, Sie bestreiten heute in Berlin Ihr letztes Rennen.

Mark Warnecke: Ja. Mein Trainer wünscht sich zwar, dass ich auch in Essen im Herbst bei den Kurzbahnmeisterschaften antrete. Aber ich glaube nicht daran. Außerdem habe ich ein tolles Angebot aus dem medialen Bereich, wofür ich viel Zeit opfern müsste. Ich habe schon mal was für ProSieben gemacht, eine Ernährungssendung, die im September ausgestrahlt wird.

Sie tauchen also bei diesen Deutschen Meisterschaften über 50 Meter Brust definitiv zum letzten Mal ins Wasser – nach 21 Jahren Leistungssport?

In meinem Alter geht so eine Mehrfachbelastung nicht mehr. Das schadet der Form. Ich müsste ein bestimmtes Niveau halten und dafür ein, zwei Stunden täglich trainieren, Minimum.

Nach der WM in Melbourne konnten Sie wegen einer Erkältung nicht trainieren. Was ist mit ihrer Form?

Ich lag mit Fieber im Bett und war erst zweimal im Wasser. Ich fühle mich schwach. Ohne die Erkältung hätte es für die DM noch gereicht. In meiner letzten Saison verfolgt mich das Pech. Ich bin ein bisschen traurig, dass ich meine Leistung nicht zeigen kann, die ich drauf hätte.

Sie werden Ihr letztes Rennen nicht gewinnen?

Hm, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich will den Vorlauf schwimmen, dann möchte ich mich eigentlich abmelden. Ich bin nicht wirklich wettkampffähig. Aber ich nehme hier teil, weil ich mir das vorgenommen habe.

Also geht es nur noch um eine letzte Pflichterfüllung.

So ungefähr. Ich bin zu schwach für ein Topresultat. Ich bin platt. Nach 15 Metern muss ich richtig kämpfen.

So stellt man sich seinen Abgang von der Bühne des Schwimmsports aber nicht vor.

Man sagt ja immer: Auf dem Höhepunkt sollte man abgehen.

oder wenn es am schönsten ist.

Ach, verlieren ist auch schön.

Wie bitte?

Dadurch eröffnen sich neue Lebenswege. Aber die brauche ich nicht mehr. Ich bin eh auf verschiedenen Pfaden unterwegs gewesen. Außerdem gibt es den Spruch: Für Cowboys ist es am besten, in Stiefeln zu sterben.

Oder in der Badehose. Untergehen – und das war’s.

Das gefällt mir besser, als auf dem Höhepunkt abzutreten. Ich kann mit Niederlagen gut umgehen. Ich will zwar nicht verlieren, aber wenn’s passiert, dann ist das okay.

Klingt, als hätten Sie vorm letzten Rennen mit Ihrer Karriere endgültig abgeschlossen.

Das hätte ich vor fünf Jahren genauso gesagt. Ich bin ja nicht der normale Hochleistungssportler.

Nein?

Ich leide nicht an krankhafter Verbissenheit. Ich schwimme, weil es mir Spaß macht. Ich rudere auch gerne, ich mache dies und das gerne. Viele Dinge. Schwimmen habe ich nach dem Prinzip betrieben: Ich fokussier’ mich jetzt mal und schaue, was rauskommt. Das Fokussieren macht Spaß. Beziehungsweise: Es hat Spaß gemacht. Denn im Schwimmbecken muss ich mir nichts mehr beweisen. Der innere Trieb der Lust ist erloschen.

Und wenn die Lust am Fokussieren zurückkommt?

Nicht das Körperliche hält mich davon ab weiterzumachen, sondern meine Arbeit. Ich komme nicht mehr zur Ruhe.

Das ist aber nicht so neu, oder?

Mein normaler Tag sah bislang so aus: Ich habe um neun angefangen zu arbeiten bis eins. Dann bin ich zum Training gefahren, war zweieinhalb Stunden weg, habe weitergearbeitet. Abends neun bis elf stand Krafttraining an. Und bis drei Uhr nachts habe ich zu Hause am Rechner gesessen. Das ging an die Substanz. Das war hart.

Auf der Couch liegen und nichts tun – das ist nichts für Sie?

Nee, mach’ ich nicht. Aber das ist so, wenn man ein Unternehmen aufbaut. Ich hatte das nie geplant. Es kam auf mich zu. Die Nachfrage war groß nach den Aminos (Warneckes Aminosäure-Produkte; d. Red.), ich habe ein Kochbuch geschrieben, und so weiter. Das alles in einem Jahr.

Sie haben also keine Angst vorm Pensionsschock?

Wie bitte? Pensionsschock? Mit 37?

Es soll Sportler geben, die wissen nach dem Karriereende nichts mit sich anzufangen.

Das ist bei mir genau andersrum. Ich bin mit mir im Klaren. Ich rede mit mir ganz offen. Wenn ich Scheiße baue, dann sag’ ich mir das. Ich lobe mich auch mal. Ich musste feststellen, dass ich charakterlich recht stark bin.

Aha.

Ich hatte mal einen Porsche, einen GT3, ein richtig geiles Gerät. Ich musste den verkaufen, weil ich keine Sponsoren und nix hatte. Dann war die Frage: Definiere ich mich über einen Porsche? Komm ich drüber weg? Es ging. Danach bin ich einen verrosteten Mazda, Baujahr 85, gefahren.

Sie durften aber bald wieder in schnelle Autos steigen.

Na ja, ich bin für Porsche Rennen gefahren. Und im Audi 24-Stunden-Rennen. Toll.

Die Boliden können Sie sich vielleicht bald wieder leisten?

Ich arbeite viel und hart. Das lernt man im Sport. Von nichts kommt nichts. Ich weiß, was ich nach dem Schwimmen tue, viele andere Sportler wissen es nicht. Die Entwicklung finde ich nicht gut. Einige haben mit 33 immer noch keine Ausbildung.

Im Schwimmen auch?

Ja, auch im Schwimmbereich. Früher war das anders. Ich habe angefangen mit Michael Groß und wie sie alle hießen. Das waren fast alles Studenten, Leute mit Ausbildung und Köpfchen. Sie waren eingenordet. Die wussten, wo es im Leben langgeht. Heute ist das anders.

Was meinen Sie damit?

Das heutige Profitum hat ein Problem. Wenn man nach seiner Karriere finanziell ausgesorgt hat, gut und schön. Aber wer schafft das schon, zumal im Schwimmsport? Was hilft dir ein toller Weltmeistertitel, wenn du dann arbeitslos bist, mit Hartz IV auf der Straße stehst und nichts kannst? Diese Entwicklung sehe ich mit Sorge.

Der DSV bietet hier keine Hilfestellung an?

Professor Werner Franke (Molekularbiologe und Dopinggegner aus Heidelberg, d. Red.) hat sich ja gerade zum DSV geäußert. Er sagt, dass er mit dieser Entwicklung und dem Druck, der da entsteht, die Problematik sieht, dass das die Bereitschaft zum Dopen antreibt. Das sehe ich auch so. Wenn jemand nichts macht und nur schwimmt, dann muss er zusehen, dass er in ein paar Jahren ausgesorgt hat. Dann ist die Bereitschaft, auch zu verbotenen Mitteln zu greifen, größer, als bei jemandem, der eh nebenher studiert oder eine Ausbildung macht.

Die Hemmschwelle ist niedriger?

Ich denke, ja. Man wird da hingetrieben. Zum richtigen Profitum gehört mehr, das bedeutet nicht nur Druck ausüben auf die Athleten. Das bringt nichts. Man muss bessere Rahmenbedingungen schaffen.

Sie meinen die Rahmenbedingungen im deutschen Schwimmsport? Stimmt da was nicht?

Es kommt drauf an. Ich habe sehr professionell gearbeitet, habe das aber auch selbst organisiert, selbst bezahlt.

Warum?

Weil ich in anderen Sachen keinen Sinn sehe. Wir haben jetzt zum Beispiel das neue Höhenkonzept, Training in der Höhe, mit dem Hinweis, die Amerikaner machen das auch. Ich weiß von dem Trainer von Michael Phelps, dass sie ein einziges Mal im Jahr auf 1.800 Meter fahren, zum Eingewöhnen. Aber sie haben kein Höhenkonzept, seit 20 Jahren ist das bei denen out, die schmunzeln eher darüber, was wir hier als neu einführen. Ich will mich aber gar nicht genauer dazu äußern. Großartig, da bin ich jetzt raus!

Was läuft denn noch falsch im Deutschen Schwimm-Verband?

Ich werde nicht gefragt, ich habe eine Meinung dazu und ich denke auch, dass ich damit richtig liege. Ich bin seit 1986 in der Nationalmannschaft und ich habe die ganze Zeit den deutschen Schwimmsport live miterlebt und – tja. Ich hätte etwas dazu zu sagen, aber da ich auch schon angegangen wurde, möchte ich das nicht.

Was hat sich denn in den letzten Jahren geändert?

Zurzeit findet die größte Katastrophe statt, die ich je in meinem sportlichen Leben erlebt habe. Schlimmer geht’s nicht. Das fängt im Teamzusammengefüge an und hört irgendwo anders auf. So etwas habe ich noch nie erlebt. Da war die Wiedervereinigung einfacher und harmonischer.

Weit entfernt von Team Spirit nach dem schlechten Abschneiden bei der WM?

Weit entfernt von allem. Es kommt nur Druck. Aber so funktioniert das nicht.

Dann war das Abschneiden in Melbourne symptomatisch?

Für mich war das nicht überraschend, aber ich will nicht weiter ins Detail gehen. Wäre ich Weltmeister geworden, würde ich es vielleicht tun. Aber als Verlierer gibt es keine Rechtfertigung für schlechte Leistung.

Es lag nicht an der Badehose vom neuen Sponsor, die sie tragen mussten?

Nein, es lag überhaupt nicht an der Hose. Es liegt eher an anderen Dingen. Aber aus der Gewinnersicht könnte ich mehr erzählen.

Dann gewinnen Sie doch die deutschen Meisterschaften und wir reden danach noch mal.

Das ist zu wenig. Ich kann ja noch eins wiederholen: Dass ich vor dem Wettkampf in Melbourne nicht einschlafen konnte, weil ich mir um gewisse Sachen Sorgen gemacht habe. Und das Traurige ist, dass diese Sachen überhaupt nichts mit dem Sport zu tun haben.

Sie müssen erleichtert sein, wenn Sie aus diesem schlechten Klima raus sind?

Ich bin einfach froh, wenn ich meine Ruhe habe. Ich mache den Sport nicht, weil ich mir was beweisen will, sondern weil er mir Spaß macht. Wenn mir aber der Spaß genommen wird, dann ist das echt frustrierend.

Haben Sie Angst, dass Sie nach Ihrem Karriereende den Kontakt zum Leistungssport verlieren?

Nein, ich habe so viel Kontakt zum Sport über meine Firma, das ist sehr befriedigend, das macht sehr viel Spaß. Wir betreuen sehr viele Profisportler. Es sind Gold-Anwärter bei den Olympischen Spielen darunter, im Winter hat einer unserer Sportler WM-Gold gewonnen.

Kommen die Sportler auf Sie zu?

Ja, so hat das ja angefangen. Ich habe die Aminos für mich selbst entwickelt, weil ich Gewicht reduzieren wollte. Ich habe mich vorher falsch ernährt.

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