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Gepixelte Menschmaschinen

Sie lassen ihre Körper von Gewalt, Armut und Kolonialismus erzählen und bringen so eine neue politische Kultur aus Brasilien mit: Das Festival „Move Berlim“ hat ganz unterschiedliche und ganz unglaubliche Tanz-Compagnien in das HAU eingeladen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

„Ich kann nicht nur ich sein.“ Wenn die schwarzen Tänzer und Tänzerinnen in Luiz De Abreus Tanzstück „Maquina de Desgastar Gente“ („Menschenzertrümmende Maschine“) bei diesem Satz wie bei einem Refrain angekommen sind, haben sie schon viel von sich preisgegeben.

Da wissen wir schon, dass ihre Vorfahren ihr Bühnen-Ich begleiten – Eltern und Großeltern und jene, die sie so schmerzhaft wenig kennen, weil sie irgendwann, wahrscheinlich als Sklaven, nach Brasilien kamen. Und da sind, verführerisch glitzernd wie ihre knapp geschnittenen Kostüme, die Images und Klischees schwarzer Kultur, die sie nicht loswerden. In einer temperamentvoll brodelnden und zugleich aggressiven Revue lassen die Tänzer viele der biografischen Brüche aufscheinen, die sich zwischen die eigenen Wünsche und angebotenen Rollen geschoben haben.

Mit dieser programmatischen Performance über die Baustellen im Umgang mit kolonialer Vergangenheit und Spätfolgen des Rassismus hat „Move Berlim“ begonnen, das Festival für zeitgenössischen Tanz aus Brasilien. Dafür sind die beiden Kuratoren, Björn Dirk Schlüter und Wagner Carvalho, zum dritten Mal durch das riesige Land gereist. Als sie 2003 mit ihren Recherchen begannen, war noch nicht vorauszusehen, in welchem Maß das Festival zu einem Botschafter für die Veränderungen in der brasilianischen Kultur werden würde. Die Kulturpolitik hat sich jetzt an seine Fersen geheftet – Sérgio Mamberti, Staatssekretär im brasilianischen Kulturministerium und ein beliebter Schauspieler seines Landes, verteilte zur Eröffnung Kusshände als Grüße von Gilberto Gil an das Publikum.

Kultur ist ein großer Hoffnungsträger in dem von krassen sozialen und wirtschaftlichen Problemen gebeutelten Land: „Der politische Wille, Kultur zu fördern, ist da, aber noch fehlen viele Infrastrukturen“, erzählt Wagner Carvalho. Der Austausch im Land selbst ist schwierig, Reisen zwischen den weit entfernten Städten sind aufwändig und teuer – und so kommt es, dass das Berliner Kuratorenteam, das sich eben nicht nur in São Paulo oder Porto Alegre, sondern auch in abgelegenen Ölförderstädten wie Macaé an der Küste umgesehen hat, die Rolle eines Vermittlers für die brasilianischen Tanzszene selbst bekam. Nicht zuletzt, weil es in Brasilien „noch immer ein Misstrauen gegen die eigene Tradition gibt“, ist der Weg über Berlin zu einem Mittel der Anerkennung geworden.

Ein Stück wie die „Menschenzermürbende Maschine“, meint Wagner Carvalho, wäre in Brasiliens drittgrößter – und „schwärzester“ – Stadt Salvador de Bahía vor zehn Jahren noch nicht möglich gewesen. „Denn es handelt auch von der Freiheit, seine Identität zu wählen, die für mich heute existiert, aber noch nicht für die Generation meiner Eltern in der Militärdiktatur.“

Die „Bauchschmerzen“, die das Land seitdem in einem Prozess der Re-Demokratisierung durchläuft, thematisieren auch weitere der eingeladenen Produktionen: Membros, eine Tanzcompagnie aus Macaé, kommen gleich mit zwei Stücken über Gewalterfahrung. In „Raio X“ geht es um ein Massaker, mit dem die Polizei 1992 einen Gefängnisaufstand in São Paulo niederschlug, und in „Meio Fio“ („Bordsteinkante“) um die Armut und Hoffnungslosigkeit von Jugendlichen, die in der reichen Industriestadt Macaé auf der Straße leben müssen.

Aber es sind nicht nur die oft politischen Inhalte, die für die Tanzszene aus Brasilien sprechen, sondern auch ihr ästhetischer Reichtum. Mit einer diffizil gebauten Schönheit der Bewegung bestach gleich die zweite Gruppe des Festivals, die Companhia de Danca Quasar. Wirbel für Wirbel, Gelenk für Gelenk blätterten sie in unglaublich fein gearbeiteten Strukturen Bewegungen auf, sodass man meinte, nicht nur das Muster der Spiralen und Kurven zu sehen, die sie unablässig aneinanderhängten, sondern auch, wie jede dieser Linien aus einer dichten Kette von Punkten gebildet wird. So entstand ein zwar abstraktes, in seiner Zusammengesetztheit aber auch eindeutig gepixeltes Bild von Identität. Man kann sich kaum vorstellen, dass solch ein tief in den Körper eintauchender Tanz vor dem Zeitalter der Computer möglich gewesen wäre, ein Tanz, der jeden organischen Abschnitt eben auch als Speicherplatz unterschiedlicher Informationen begreifbar macht. Aus einer ganz anderen Perspektive wurde so auch bei der Companhia Quasar das Ich von der Einheit wieder zur Vielheit.

Move Berlim, bis 22. April im HAU, Programm unter www.hebbel-am-ufer.de

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