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Downsizing Wagner

Es ist geschafft: In Dortmund ist der „Ring“ vollbracht. Doch Christine Mielitz‘ Inszenierung der „Götterdämmerung“ ist eine lahme Veranstaltung ohne Konzept, mit viel ermüdendem Zeichensalat

VON REGINE MÜLLER

Nun ist es vollbracht: die Premiere der „Götterdämmerung“ vollendete den vor zwei Jahren am Dortmunder Opernhaus begonnenen „Ring des Nibelungen“. Mit den größten Hoffnungen hatte sich das Haus unter der Regie der Hausherrin Christine Mielitz auf das ehrgeizige Mammutprojekt gestürzt, gilt doch der „Ring“ noch immer als Wagnis für Häuser jenseits der finanziell gut ausgestatteten Luxusklasse der Staatstheater. Der „Ring“ ist aber aufgrund des hohen Aufmerksamkeitsgrads, den er nicht nur durch die stets präsente Wagner-Gemeinde garantiert vor allem auch ein Aushängeschild und die Visitenkarte großer Ambition für jedes Haus.

Niemand weiß das besser als Christine Mielitz, hatte die gebürtige Chemnitzerin – selbst der ersten Reihe ostdeutscher Regietradition zugehörig und gesuchte Regisseurin an noblen Adressen – doch vor einiger Zeit mit jenem legendären „Ring“ im thüringischen Meiningen das dortige Theaterwunder hervorgebracht. Nicht zuletzt diese Leistung empfahl sie seinerzeit für die Intendanz des krisenhaften Dortmunder Hauses.

Das Glück scheint ihr jedoch im Ruhrgebiet weit weniger hold: Die Dortmunder watschten das Regieteam am Sonntag mittels lautstarker Buhs kräftig ab, nachdem sie die musikalischen Leistungen heftig akklamiert hatten. Das wohl auch deshalb, weil Mielitz in Brünnhildes Schlussmonolog die Musik anhalten ließ und Jayne Casselman einen nicht vertonten Originaltext Wagners sprechen musste. Das war in der Tat überflüssig, lenkte aber die Aufmerksamkeit auf die Regie, die den ganzen überlangen Abend hindurch weit weniger auffiel.

Denn auch die finale Götterdämmerung hat nicht klarer gemacht, welche Geschichte Mielitz erzählen will. Dass der Fluch des Goldes mit der Gegenwart etwas zu tun hat, äußert sich vor allem in wiederkehrenden Bildern und Motiven: die Straßenschluchten eines internationalen Finanzstandortes, Menschen im Bürodress. Stefan Mayers Bühnenbild bleibt auch am vierten Abend des Zyklus in steter Bewegung, die Drehbühne kreist, Vorhänge fallen, werden wieder gerafft, viel Aktion, doch selten sprechende, bannende Bilder. Den ermüdenden Zeichensalat verstärken die Requisiten und Kostüme noch.

Dennoch gelingen Mielitz immer wieder starke Momente dichter Personenregie – nur wollen sich diese längst nicht zum schlüssigen Konzept, geschweige denn zum großen Wurf fügen. So wirkt das Ganze mutlos, hängen lange Passagen durch, was allerdings zum überwiegenden Teil auf das Konto von Arthur Fagen im Graben geht. Der scheidende Generalmusikdirektor kann sich auch nach vorübergehender Belebung bei „Siegfried“ zu einem energischen, Spannung erzeugenden Zugriff nicht entschließen. Trotz uninspirierter Verzagtheit tönen die Dortmunder Philharmoniker oft zu laut, die Relationen stimmen nicht, die Höhepunkte verschenkt Fagen, Beiläufiges tritt er breit.

Kein Wunder, dass dramatische Fallhöhe sich so nicht einstellen will, es wabert so vor sich hin, wie das Dauer-Dunkel auf der Bühne bloß muffig und lichtlos wirkt und wenig Atmosphäre schafft. Das große Drama findet in Dortmund nicht statt. Bei Brünnhildes Schlussgesang, sehr achtbar Jayne Casselman, wird man den eigenartigen Eindruck nicht los, ihr sei gerade nur ein ganz guter Job daneben gegangen, mehr nicht. Weltenbrand als Betriebsunfall.

Sängerisch wacker schlagen sich auch Jürgen Müller als Siegfried, Vidar Gunnasson als Hagen und Simon Neal als Gunther. Enden wollender Applaus. Die zweite zyklische Aufführung des „Ring“ beginnt am 11. Mai.

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