LEICHTE PUFFÄRMEL: Alte Sowjetzeiten
Ich war mit dem Fahrrad in Friedrichshain unterwegs, um letzte Besorgungen für einen dreiwöchigen Aufenthalt im Schwarzwald zu machen. Als ich an einem Klamottengeschäft vorbeifuhr, nahm ich ein rot-weiß gepunktetes Kleid wahr, das draußen an einem Ständer hing. Ich stellte mein Rad ab, um es mir genauer anzusehen. Der rote Stoff war übersät mit weißen Punkten, oder umgekehrt, und erinnerte an einen Fliegenpilz. Das Kleid hatte leichte Puffärmel und oben am Hals eine entzückende Schleife. Ich hatte keine Ahnung, was es kostete, weil ich kein Preisschild fand. Anprobieren, dachte ich, könnte ich es ja trotzdem mal.
Als ich es anhatte, war sofort klar, dass das Kleid wie für mich gemacht war. Ich drehte und wendete mich vor dem Spiegel und war ganz verliebt in den Fliegenpilz aus Baumwolle. Im gleichen Moment versuchte ich, mich nicht zu sehr in das Kleid zu verlieben, denn vielleicht war es ja teuer. Ich zog es wieder aus und nahm das innen eingenähte Schild näher in Augenschein. Darauf standen kyrillische Buchstaben. 100 Prozent Baumwolle konnte ich entziffern und die Maße 164-92-100. Offenbar ein Kleidungsstück aus alten Sowjetzeiten.
Ich fragte die Verkäuferin, eine Asiatin, woher das Kleid sei. Sie hatte keine Ahnung. Als ich sie nach dem Preis fragte, suchte sie lange, bis sie einen Aufkleber fand. „18 Euro.“ Ich konnte es kaum glauben. Als ich schon das Portemonnaie zücken wollte, wies mich die Verkäuferin auf den Gürtel hin, ebenfalls rot-weiß gepunktet, dessen Ende eine offene Naht hatte. Ich setzte ein nachdenkliches Gesicht auf und holte tief Luft. „Für 15 Euro würde ich es nehmen“, sagte ich. Die Verkäuferin war einverstanden, und ich freute mich wie Bolle.
Wenige Stunden später packte ich meinen Koffer für den Schwarzwald. Obendrauf legte ich das Kleid. BARBARA BOLLWAHN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen