: Zu viert im Wohnklo
Der Verein Freiabonnement für Gefangene und die taz setzten am Dienstag die Reihe „Kriminalpolitische Gespräche“ fort. Fragestellung diesmal: Wer füllt die Gefängnisse?
Einer der Podiumsgäste im taz-Café konnte ein eindeutige Antwort auf die Fragestellung des Abends – wer füllt die Gefängnisse? – geben: „Verantwortlich sind Leute wie ich“, bekannte Peter Faust, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes und hauptberuflich Richter am Landgericht Berlin. „Am Schwurgericht werden hohe Strafen verhängt“, erklärte Faust. Er konstatierte eine allgemeine Erhöhung der Strafmaße seit Mitte der 90er-Jahre und hält diese auch für vernünftig, weil sie sich auf Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung und Körperverletzung bezöge: „Vorher bekam ein Bankräuber eine höhere Strafe als ein Vergewaltiger.“ Die Berliner Rekordüberbelegungen seien zudem einem weiteren Rekord geschuldet: Die Stadt ist Spitzenreiter bei den „Ersatzhaftstrafen“; wer sein Bußgeld nicht bezahlen kann oder will, geht stattdessen in den Knast.
Die zehn Berliner Gefängnisse sind bekanntlich dicht bis unter das Dach – aber ob der vom Senat beschlossene Neubau in Großbeeren Abhilfe zu schaffen in der Lage ist, war und bleibt umstritten. Der rechtspolitische Sprecher der Berliner SPD, Fritz Felgentreu, verteidigte bei der Diskussion am Dienstagabend angesichts der massiven Überbelegung den Neubau. Begründung: Die bisherige Praxis sei verfassungswidrig. Sein oppositionelles Pendant von den Grünen, Dirk Behrendt, forderte stattdessen einen „Personalschlüssel“, der wissenschaftlichen Erkenntnissen genüge.
Gerade den politverwaltungstechnischen Lösungen widmete sich der Kriminologe Johannes Feest: „Seit der Föderalismusreform können die Landesjustizverwaltungen definieren, ab wann eine Überbelegung vorliegt. Was bedeutet: Überbelegung kann man wegdefinieren.“ In der Praxis würde ganz einfach die gesetzlich vorgeschrieben Einzelunterbringung unterlaufen, indem man die Mehrzahl der Gefangenen „auf Gemeinschaft legt“, obwohl die meisten von ihnen ausdrücklich eine Einzelzelle gegenüber einem „Wohnklo“ mit Mitgefangenen vorziehen würden. Feest nannte stattdessen seine Lösung der Wahl: weniger Zugänge, weniger lange Strafen.
Das in Volkes Munde gerne geführte „Wegsperren für immer“ habe sich längst auf die Justiz ausgewirkt, wie auch taz-Redakteurin Plutonia Plarre befand. Während die Kriminalitätsraten sinken würden, stiegen die Strafen – für Plutonia Plarre eindeutig die Folge medialer Hetzkampagnen, die Einzelfälle hochzögen, um Auflage zu machen. Rainer Dabrowski, Gefängnisseelsorger der Justizvollzugsanstalt Tegel, bestätigte einen Umschwung in der öffentlichen Meinung: „Ich muss die Gefangenen immer in Schutz nehmen. Die Bevölkerung findet es ja heute schon schlimm, dass es im Gefängnis Fernseher und Theatergruppen gibt.“
Auch die Politik sei deshalb feige geworden, so Marius Fiedler, Leiter der Jugendhaftanstalt Plötzensee. „Wenn im offenen Vollzug etwas passiert, muss am Ende der Innensenator gehen. Die Politik will längst kein Risiko mehr eingehen“, sagte er. Wohl auch finanziell nicht, obwohl die Justiz laut Fiedler nur 3,5 Prozent des Landeshaushaltes ausmache.
Einig war man sich am Ende auf dem Podium, dass die Knäste tatsächlich gefüllt werden müssen: und zwar mit mehr Personal. Aus dem Publikum waren jedoch auch andere Stimmen zu hören: Ist es sinnvoll, Zellen mit Drogenkonsumenten zu blockieren? Braucht man Knäste überhaupt? Vielleicht ein Thema für die nächsten „Kriminalpolitischen Gespräche“.
MARTIN REICHERT
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