: Buckeln vor dem Favoriten
„Wenn ich gewählt bin, werdet ihr alle entlassen“: Im Umgang mit Frankreichs Medien ist Präsidentschaftskandidat Nicolas Sarkozy rücksichtslos. Die meisten JournalistInnen lassen sich das gefallen
Eine „Scheiß-Zeitung“ sei das, beschwerte sich Nicolas Sarkozy unlängst bei Edouard de Rothschild, dem Hauptaktionär der linksliberalen Libération. Die Zeitung hatte unter dem Titel „Der Verdacht“ ein Foto von Sarkozy auf der Seite eins gebracht und über den seltsam niedrigen Preis für seiner Luxuswohnung berichtet. Libé-Chefredakteur Laurent Joffrin wies prompt darauf hin, dass er für den Inhalt der Zeitung verantwortlich sei. „Vielleicht“, rechtfertigte sich Sarkozy, „aber das Geld für die Zeitung, die mich attackiert, kommt von de Rothschild.“
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
„Meinen Sie nicht auch, dass …?“ Fragen, die so suggestiv eingeleitet werden, haben in Frankreich Hochkonjunktur. Sie richten sich an zwölf PolitikerInnen unterschiedlicher Couleur. Alle zwölf können – ohne das geringste Risiko auf Widerspruch, Kritik oder sonstige Gegengewichte – antworten, was sie wollen. „Nein“, darf beispielsweise der rechte Nicolas Sarkozy gestern Vormittag in einem der größten Radiosender Frankreichs unwidersprochen sagen: „Es ist kein Rechtsruck, wenn ich ein Ministerium für Einwanderung und nationale Identität eröffne.“ Es folgt das nächste Thema. Die Selbstdarstellung dauert 20 Minuten zur besten Sendezeit.
Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich. Vier Tage vor dem ersten Durchgang. Im Hintergrund zählen MitarbeiterInnen der Radio- und Fernsehaufsicht mit, damit alle zwölf KandidatInnen dieselbe Redezeit haben. Das ist die einzige Regel. Doch auch sie gilt nur für die letzten Wahlkampfwochen – seit dem Start der offiziellen Kampagne zu Ostern. Tatsächlich läuft diese Präsidentschaftskampagne – die längste der fünften Republik – jedoch schon viel länger: Ségolène Royal ist bereits im vergangenen November von der PS zur Kandidatin bestimmt worden. Sarkozy bewirbt sich nach eigenen Angaben seit „fünf Jahren“. Und auch die meisten kleineren KandidatInnen sind schon seit Monaten im Einsatz. Doch Letztere kommen erst jetzt zum Zuge.
Vergeblich haben Fernseh-JournalistInnen dazu aufgerufen, das Niveau der Wahlkampfberichterstattung zu heben. Schon Anfang Februar kritisierten sie in einer Petition die „populistischen Entgleisungen“ bei denen „repräsentativ“ ausgewählte BürgerInnen Fragen stellen dürfen und artige JournalistInnen „Info-Kommunikations-Sendungen“ machen, anstatt konfrontativ und journalistisch zu arbeiten. „Die verschiedenen Gesellschaftsprojekte müssen im Kontrast gezeigt werden“, verlangten die JournalistInnen, „damit sich die Bürger eine Meinung bilden können. Nur so erfüllen wir unsere Mission eines öffentlichen Dienstes im Sinne der Demokratie“. Bis jetzt konnten sie sich nicht durchsetzen.
Wer die Präsidentschaftsberichterstattung in den letzten Monaten verfolgt, kommt zu der Überzeugung, dass der wichtigste Mann des Landes Sarkozy heißt. Er guckt von allen Zeitschriftentiteln, ist in allen Printmedien und er ist der meistgehörte und meistgesehene Mann der elektronischen Medien. Der energiegeladene, laute und oft aggressive Sarkozy ist der Lieblingskandidat des Fernsehens. Wenn er auftritt, steigen die Einschaltquoten. Sein direkter Ton, der zwischen Attacke und Einschmeichelei changiert, gefällt. Zugleich ist er eine Angstfigur für viele FernsehmacherInnen. Wenn er nicht gebührend empfangen wird, droht er mit Konsequenzen. „Das werden wir uns merken“, steht dann in den Mails, die sein Kabinett an die Fernsehverantwortlichen schickt. Als Sarkozy vor einer Schminkkabine des Senders „France 3“ warten muss, wie alle anderen Studiogäste, lässt er die Sendedirektion kommen und droht: „Wenn ich gewählt bin, werdet ihr alle entlassen.“
Die Medien sind „zu 90 Prozent gegen mich“, behauptet Sarkozy. Tatsache ist, dass er in den Medien mehr politische FreundInnen und UnterstützerInnen hat, als alle anderen KandidatInnen. Bei der Illustrierten Paris Match musste der Chefredakteur gehen, nachdem das Blatt mit Fotos von Madame Sarkozy und ihrem Geliebten in New York aufgemacht hat. Ein Buchverlag lässt einen Roman einstampfen, der das außereheliche Liebesleben von Cécilia Sarkozy zum Inhalt hat, nachdem der damalige Innenminister mit zahlreichen Klagen drohte.
Wenn Royal nicht weiß, wie viele atombetriebende U-Boote Frankreich besitzt, oder wenn einer ihrer Exberater sie mit öffentlicher Häme überhäuft, ergötzen sich die Radio- und TV-Sender tagelang öffentlich an den „Pannen“ und der angeblichen „Inkompetenz“ der Sozialdemokratin. Wenn Sarkozy hingegen behauptet, sowohl Pädophilie als auch Selbstmorde bei Jugendlichen seien „genetisch bedingt“, geht das in den Medien unter. Auch sein Scheitern als Innenminister in der Banlieue, und die beinahe spurlose Zeit, die er als Finanzminister dieser Regierung absolviert hat, kommen in den großen Medien kaum zur Sprache.
Besonders beeindruckend ist die Einschüchterung à la Sarkozy auf den Tross von JournalistInnen, die ihn seit Monaten permanent begleiten. Nur unter dem Siegel der Anonymität lassen sie durchsickern, dass er sie als „Aasgeier“ beschimpft. Und dass er am Anfang von gemeinsamen Reisen regelmäßig Sätze sagt wie: „Lustig ist das. Ich kenne alle eure Bosse sehr gut.“ Doch alle wollen den direkten Zugang zu Sarkozy bewahren.
Fünf Tage vor dem ersten Durchgang der Wahlen beschreibt die Zeitschrift Marianne die „bonapartistische Attitüde“ des Kandidaten Sarkozy. Auch gegenüber den Medien. „Wir wissen, dass wir den Preis zahlen müssen, falls er gewählt wird“, endet der Artikel, „das akzeptieren wir.“
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