: Schnellboote gegen Behäbigkeit
QUERDENKER Mitarbeiter, die auch mal gegen den Strich denken, können Unternehmen bereichern. Doch solche Musterbrecher haben es bei normalen Auswahlverfahren schwer
VON VOLKER ENGELS
Zunehmend interessieren sich Unternehmen für Mitarbeiter, die nicht dem angepassten Mainstream aus Managementschule oder Eliteuni entstammen und als Querdenker mit besonderen Stärken wichtige Impulse für ein Unternehmen liefern können. Biologen, Physiker, Kulturwissenschaftler oder Philosophen bereichern zum Beispiel seit Längerem die IT-Branche und haben auch das Zeug zum Vorstandsmitglied. Spezielle strategische und organisatorische Kenntnisse und Erfahrungen sind manchmal mehr gefragt als eine makellose Biografie.
Gerade größere Organisationen, sagt Uta von Boyen, brauchen immer mehr Menschen, die über den Tellerrand schauen können: „Die Welt ist auch für Unternehmen komplexer und viel schneller geworden“, unterstreicht die Münchner Personal- und Organisationsentwicklerin. Querdenker seien oft in der Lage, schnell auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Als „strategische Schnellboote“, die in kleinere Teams oder Arbeitseinheiten eingebettet sind, könnten sie „Trends erkennen und zügig neue Wege gehen, von denen das ganze Unternehmen profitiert“. Viele Unternehmen seien aber bislang „strategisch viel zu behäbig aufgestellt“ und müssten ihren Blick erweitern. „Sie sind gezwungen, sich zu öffnen und deutlich über die eigenen Branchengrenzen zu schauen.“
Durch herkömmliche Auswahlverfahren würden viele dieser sogenannten „Peak Performer“ unentdeckt bleiben, ist von Boyen überzeugt. „Mit standardisierten Auswahlverfahren, die vielleicht früher und in der breiten Masse ganz gut funktioniert haben, sortieren sie diese Menschen bereits im Vorfeld aus.“ Die Personalsuche müsste deutlich stärker präzisiert und individualisiert werden. Ein Problem dabei: Viele Personalverantwortliche, die darüber zu entscheiden haben, ob auch Mitarbeiter mit besonderen Profilen zum Zug kommen, haben die klassische Karriereleiter absolviert.
Allerdings ist es laut von Boyen wichtig, Querdenker in Strukturen und Teams so einzubetten, dass alle Seiten davon profitieren: Ein oder maximal zwei „Peak Performer“ pro Team reichten aus, besondere Stärken lassen sich so nutzen, Schwächen durch ein funktionierendes Team ausgleichen. Denn neben den visionären Köpfen brauchen Unternehmen auch Mitarbeiter, die diese Ideen mit Geduld und Ausdauer in die Tat umsetzen.
Klaus Moser, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologe an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, sieht die Frage systemisch: „Organisationen existieren, weil oft nur durch Kooperation und die Koordination von Kräften und Kompetenzen Ziele erreichbar sind.“ Daher suche auch jede Organisation in ihren Stellenanzeigen teamfähige Mitarbeiter, die zuverlässig und berechenbar sind. Auf der anderen Seite seien „gerade zunächst ungewöhnlich klingende Minderheitsmeinungen oft die Quelle von Neuerungen“, die dann irgendwann allen Beteiligten einleuchten und anerkannt werden. Krasse Fehlentscheidungen resultierten oft daraus, „dass alternative Ansichten unterdrückt werden“. „Bedenkenträger“, weiß Moser, „haben einen schlechten Ruf.“
Eine Einschätzung, die auch Claas Triebel unterschreibt: „Querdenker oder Musterbrecher sind oft unbequem und anstrengend.“ Unternehmen, gerade wenn sie innovativ sein wollen, seien aber dringend auf solche Mitarbeiter angewiesen, sagt der Professor für Wirtschaftspsychologie, der an der Hochschule für angewandtes Management in Erding lehrt.
Zwar habe die „Vielfalt von Lebensläufen in Unternehmen zugenommen“, standardisierte Profile seinen aber noch die Regel. Personalverantwortliche, sagt Triebel, der neben seiner wissenschaftlichen Kariere auch als Sachbuch- und Krimiautor tätig ist, stellen gerne Menschen ein, die ihnen ähnlich sind: „Man reproduziert sich dadurch quasi selbst.“ Dabei sei ein präziser Blick auf den Bewerber wichtig: „Noten alleine sind ein schlechtes Auswahlkriterium, interessante und innovative Mitarbeiter fallen dann schnell durchs Raster.“ In der Regel sei der Notenspiegel vor allem ein gutes Prognoseinstrument dafür, „wie gut jemand bei Prüfungen abschneidet“.
Mit Erfahrungen und Kenntnissen auch jenseits der beruflichen Qualifikation sollten Bewerber indes nicht hinter dem Berg halten: „Es ist sehr anstrengend, sich zu verstecken und eine Fassade aufrecht zu erhalten.“ Offenheit helfe, einen authentischen Eindruck zu hinterlassen. Querdenker indes, so Moser, litten indes generell an den Organisationen, in denen sie arbeiten. „Organisationen leiden auch, aber ohne die Querdenker gehen sie früher oder später unter.“
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