DER SPRAYER OZ IST GESTORBEN UND EGAL OB MAN SEINE SPRAYEREI MOCHTE ODER NICHT, IST ES GUT, WENN SICH DIE HAMBURGER MIT SO ETWAS WIE UNVERSÖHNLICHKEIT BEFASSEN: Echter Dreck
KATRIN SEDDIG
Die Stadt Kiel hat für die Kunst eine alte Wand lockergemacht und die konnte dann ein Sprayer juristisch einwandfrei besprühen. Gekommen ist das so, weil ein Sprayer-Freund sich angeblich jahrelang um so eine Wand bemüht hat. Damit die Sprayer von Kiel auch mal sprayen konnten, denn sonst sprayen sie ja vermutlich nicht, weil das ja – eben – illegal ist, das Eigentum von wem zu besprayen. So hat dann ein Sprayer was Hübsches an die Wand gesprayt, während der Kieler Kulturreferent und die Polizei ihm dabei zugeguckt haben.
So geht das, liebe Sprayer, erst fragen, dann ein paar Jährchen warten und dann Hand in Hand mit Politik und Polizei was zur Verschönerung der Stadt beitragen. Dann hat die Gesellschaft auch nichts dagegen. Der alte OZ hat das anders gehalten, der hat in Hamburg rumgesprayt, was das Zeug hielt, hat nicht groß gefragt und hat es meistens schwarz gemacht und meistens auch nicht hübsch.
An einem wie ihm entzündet sich die Wut der ordentlichen Leute, denn was er gemacht hat, ist für die meisten Schmiererei und Sachbeschädigung. Darum musste er auch manchmal vor Gericht erscheinen oder auch ins Gefängnis gehen. Aber einem Verrückten wie ihm hat es nichts ausgemacht, oder vielleicht hat es ihm sehr viel ausgemacht, aber sein Drang war stärker und da hat er es eben getan, die Wände beschmiert, die U-Bahnen beschmiert, alles und immer wieder beschmiert, sein Tag, sein Smiley, aus einem Drang heraus, der ihm die Erlaubnis gegeben hat.
Ob er ein Held oder ein Verrückter war, ein Beschmierer oder ein Künstler, das ist vielleicht sogar egal, auf jeden Fall war er nicht kleinzukriegen, auf jeden Fall war er unbeugsam, auf jeden Fall leistete er Widerstand gegen etwas, was wir vielleicht die große Sauberkeit nennen können.
In Hamburg ist die Tage das Filmfest eröffnet worden und zu diesem Anlass hat die Hamburg Tourismus GmbH einen neuen Imagefilm der Stadt Hamburg präsentiert. Kann man sich bei Youtube ansehen, kann man sich auf der Internetseite der Hamburg Tourismus GmbH ansehen und dann will man vielleicht die Stadt Hamburg besuchen oder man will als Hamburger ganz stolz sein auf seine Stadt, weil sie so schön bunt ist.
Weil sie in ihrem Imagefilm eine joggende Farbige hat, dann noch eine Schwangere und eine mit am Knie zerrissenen Jeans, ein ganz bisschen Schanzenatmo, Fische und Hafen natürlich und auch die neue Elbphilharmonie. Soll heißen, unser Image ist gar nicht mal so glatt, unser Image erträgt auch ein bisschen Schmuddeligkeit, das mit der Schmuddeligkeit kommt auch im Text vor, den Herr Denyo zum einen gedichtet hat und zum anderen auch vorträgt. Und am Ende wird erklärt, dass die Menschen in Hamburg erst fühlen, dann denken und dann handeln. Ist mir bisher noch gar nicht aufgefallen, die Gefühlsbetontheit der Hamburger.
Wegen solcher Filme brauchen wir OZe. Weil wir uns sonst den ganzen Tag in dieser „Stadt im Aufbruch, dieser Stadt von Welt, eine Stadt, die gern arbeitet, auch an sich selbst“ übergeben müssten. Weil eine Menge von Leuten so einen Film tatsächlich geil und sich darin wieder finden. Eine Millionen OZe müssen denen unter die Nase geschmiert werden, damit sie vielleicht wenigstens dunkel ahnen, dass unter dieser Oberfläche von Anbiederung an einen schicken „schmuddeligen“ Lebensstyle noch echter Dreck verborgen ist, ein Widerstand, eine Unversöhnlichkeit, kein Abwarten und keine Genehmigung, in der Tradition von echter Street-Art, als Gegengewicht gegen zum Beispiel ein unsägliches Stadtmarketing, gegen Seilbahnen und Musicals, gegen Alsterfeuerwerke und Hummelkitsch.Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.
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