piwik no script img

KIM TRAU POLITIK VON UNTENJunge in der Mädchenumkleide

Wenn man nicht weiß, ob Fisch oder Fleisch, macht auch die Feuerwehr eine Frau nicht männlich

Vor zwei Wochen war ich das erste Mal seit fast fünf Jahren wieder in einer Schule. Mit einem Aufklärungsprojekt des Dresdner Beratungszentrums Gerede. Es ging um Lebensweisen jenseits der heterosexuellen Norm. Worunter Lesben, Schwule und, je nach Selbstverständnis, Trans*Leute fallen. Für mich waren solche Zentren bislang Rückzugsorte einer Gesellschaft, die Menschen fürs Anderssein bestraft. Diesmal war das Zentrum Ausgangspunkt, um der Welt von uns zu erzählen.

Ähnlich wie diese Kolumne. Nur eben in direkter Interaktion, mit Schüler_innen einer Mittelstufe. Und da hörte ich sie wieder, die Ausdrücke. Schwuchtel. Tunte. Bloß war nicht mehr ich die Zielscheibe. Und noch eines war anders: ich selbst. Klar war ich aufgeregt vor diesen Schülern, aber auch selbstbewusst. Nicht mehr klein mit Hut, wie früher, wenn mir Beleidigungen entgegenschlugen. Fiel es mir in der Schulzeit noch schwer, etwas zu erwidern, weil ich nicht wusste, ob Fisch oder Fleisch, so konnte ich jetzt Antworten geben. Keine endgültigen, aber Antworten, die mich nicht länger ausgrenzen. Es gibt keinen Zwang mehr für mich, dazuzugehören.

Das erste Mal begegnete mir dieser Zwang in der zweiten oder dritten Klasse, als einer der Jungs vor den Umkleiden zu mir sagte: „Du gehörst hier nicht mit rein, geh doch zu den Mädchen!“ Das machte mir Angst. Nicht wegen der Klassenkameradinnen. Mir schwante, dass solche Dinge außerhalb meiner Entscheidungsfreiheit liegen. Was würde passieren, wenn ich das wirklich machen würde? Wie würde meine Familie reagieren? Ein Junge in der Mädchenumkleide.

Ich schämte mich dafür, dass ich nicht so war, wie es von mir erwartet wurde. Irgendwann fragte mich meine Lehrerin, warum ich denn so traurig sei. Ihr sei das aufgefallen. Ich habe nicht geantwortet. Aber die Frage ließ mich nicht los, sie wurde in den Jahren darauf nur leiser.

Mit zwölf, dreizehn war ich bei der Jugendfeuerwehr. Männlicher machte mich das auch nicht. Die Wende kam erst, als ich hörte, dass es bei uns im Ort ein Mädchen gab, das nicht immer eines gewesen war. Gehört hatte ich bis dahin nur von der Drag Queen Olivia Jones oder von Lilo Wanders. Was hatten die schon mit meinem Leben zu tun?

Anders dieses Mädchen. Ich habe nie mit ihr gesprochen, aber sie wurde zum Vorbild: Was die kann, kann ich auch! In die Tat umgesetzt habe ich das zwar erst mit Beginn meines Studiums. Aber mir wurde dadurch klar, wie wichtig es ist, sichtbar und ansprechbar zu sein. Und sei es für 90 Minuten in der Schule.

Die Autorin ist Studentin Foto: privat

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen