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„Der mit dem Stinkefinger“

GÖTZENDIENST Ein Abend am Theater Hannover beschäftigt sich mit dem Teufel: ideengeschichtlich belesen und, ganz praktisch, singend und musizierend. Warum wir alle den gehörnten Versucher dringend brauchen, erklärt Regisseur Florian Hertweck

Mit ihm beginnt der Tag: Lucifer ist, in der römischen Mythologie, der Morgenstern, Licht bringender Prometheus, ein Aufklärer. Und bei Goethe, als mephistophelischer Geist, „Ein Teil von jener Kraft, / Die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Er hat uns Menschenkinder erlöst, als leibhaftiger Versucher die Lust zum Widerspruch, zum freien Willen geweckt, ohne die wir uns immer noch bewusstlos im Paradies langweilen würden. Und so verehren ihn viele, in vielerlei Gestalt, mit vielerlei Namen – Beelzebub, Höllenfürst, Diabolos, Iblis, Erbfeind, Voland, gehörnter Deiwel, schwarzer Magier, Samiel …

Auch Florian Hertweck hegt Sympathie, Mitgefühl, Verständnis für den Teufel: „Ja“, sagt er, „als ehemaliger Ministrant habe ich den Satan während der Proben sogar lieben gelernt. Auch wenn er in der Bibel nur sechsmal vorkommt, aber gleich zuerst taucht er dort als Verb auf: widersprechen. Das Prinzip gefällt mir. Und als Gestaltwandler interessiert er mich als Schauspieler.“

Vom Staatstheater Hannover erhielt Hertweck den Auftrag, einen musikalischen Abend zu gestalten, der nach umfangreicher Materialsammlung nun nicht als Schwarze Messe gefeiert wird, sondern als „theatrales Symposium“: Die Kulturgeschichte des Höllensturzes, des gefallenen Engels, möchte Hertweck aufblättern. Dazu lese, rezitiere, spiele und singe man Passagen aus der Bibel, Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“, John Miltons „Paradies lost“ – bis hin zur Lebensbeichte eines „Hells Angels“-Rockers.

Ein Zwischenstopp wird bei den Satanisten eingelegt, die ritualisierte Formen der Ausschweifung praktizieren. Theater des Okkulten? „Wir planen da ein Reenactment“, stellt der Regisseur in Aussicht. Gruppensex, lebenden Küken den Kopf abreißen oder mit der Axt durchs Publikum rasen? „Das wird es nicht geben“, so Hertweck, „denn der Teufel als das abgrundtief Böse, der ist auf der Bühne nicht darstellbar“.

Vielmehr werde nun die literarisch manifestierte Teufelshistorie flott zum dämonischen „Götzendienst“ geremixt und mit nachgestellten Szenen aus Filmen wie „Der Exorzist“ arrangiert. „Der Abend hat sicher Seiten schwarzen Humors und ist nicht immer ganz ernst zu nehmen“, sagt der Regisseur. Aber erwill doch was, oder? „In unserer säkularisierten Welt ist kein Platz mehr für den Satan“, so Hertweck. Dass aber der arme Teufel gestorben sei, zusammen mit Gott: ein Missverständnis!

„Vom Antihelden hat er sich in der Popkultur ja schon zum Helden entwickelt, zum Rebell gegen Konventionen.“ Marilyn Manson etwa: besingt den „Antichrist Superstar“. Den wir alle „dringend brauchen“, ergänzt Hertweck: „Unser Leben ist doch so genormt, wird scheinbar immer sicherer und moralisch korrekter, wir trinken alkoholfreies Bier, rauchen bestenfalls draußen und schuldbewusst, tragen Fahrradhelm, da ist der Teufel dann der mit dem Stinkefinger.“

Oder um es mit den Rolling Stones zu formulieren, deren „Sympathy for the Devil“ längst zum Unesco-Weltkulturerbe zählen müsste: Herumteufeln ist Zunge-Rausstrecken mit künstlerischen Mitteln. Aber sollte im Staatstheater nicht mehr passieren als leere Provokation und Spiel mit einem Bad-Guy-Image?

Von der süßen Versuchung nölten einst Tocotronic: „Im Zweifel für den Zweifel / und gegen allen Zwang. / Im Zweifel für den Teufel / und den zügellosen Drang.“ Das wird wohl auch jetzt in Hannover zu hören sein. Der beste Song aber, der live gespielt wird, ist laut Hertweck „Heaven and Hell“ von Black Sabbath. Und als Kontrapunkt gebe es „Hallelujah“ von Leonard Cohen. Dehnungsübungen des Theaters für den Spagat zwischen Gut und Böse, dem Glauben und seinem Gegenteil.  JENS FISCHER

■ „Sympathie für den Teufel. Ein musikalischer Götzendienst“: So, 12. 10., 20 Uhr, Cumberlandsche Bühne, Hannover. Weitere Aufführungen: 14. + 31. 10., 23. 11.

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