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Der große Ballzauberer

Hertha-Manager Dieter Hoeneß musste in den vergangenen Wochen viel Kritik einstecken. Auf der Mitgliederversammlung lenkt er Vorwürfe geschickt weiter. Und stellt sich als Mann des Volkes dar

VON JOHANNES KOPP

„Liebe Mitglieder, liebe Mitgliederinnen“, so beschwingt wie falsch begann ein Redner seinen Vortrag am Montag kurz vor Mitternacht. Bei Hertha werden derzeit viele Fehler gemacht. Das war auf der Mitgliederversammlung im Internationalen Congress Centrum (ICC) nicht anders. Schon zu Beginn der Veranstaltung musste Vereinspräsident Bernd Schiphorst eine Freud’sche Fehlleistung einräumen. Auf der Tagesordnung war die Möglichkeit zur Aussprache nicht vorgesehen. „Das haben wir schlicht vergessen“, entschuldigte sich Schiphorst. Gewiss hätte man sich bei Hertha die Debatte mit den gut 1.200 anwesenden Mitgliedern gerne erspart.

Der Unmut war groß angesichts der sportlich katastrophal verlaufenden Rückrunde. Vor wenigen Wochen rettete sich das Team mühsam vor dem Abstieg. Entsprechend viele Aggressionen schwirrten anfangs im Saal 1 des ICC umher. Zu allererst bekam das die Mannschaft zu spüren, die sich traditionell auf der Bühne zu zeigen hatte. Eine gefühlte Ewigkeit lang mussten die Profis Pfiffe über sich ergehen lassen. Lediglich Ersatzspieler und Publikumsliebling Andreas Neuendorf wurde gefeiert.

Manager Dieter Hoeneß, dem der größte Groll entgegenschlug, machte sich das sofort zunutze. Er zitierte Neuendorf ans Mikrofon und ließ den Liebling aller sagen: „Bitte, macht nicht alles kaputt!“ Das war der Aufgalopp von Hoeneß’ Verteidigungsstrategie. Der 54-Jährige stand zuletzt im Fokus der Kritiker – sowohl im Stadion als auch in den Medien. Er musste mit dem Schlimmsten rechnen. Aber Hoeneß verstand es am Rednerpult meisterlich, den Volkszorn an andere Adressen zu verteilen.

Als Erstes war Yildiray Bastürk dran. Hoeneß beklagte, dass er lange vergeblich auf ein Bekenntnis des Türken zu Hertha gewartet habe. Der Mannschaft hätte das geschadet. Zudem habe dem Verein zu schaffen gemacht, dass Ashkan Dejagah sich für das Geld in Wolfsburg entschieden hätte anstatt für Berlin. Pantelic stellte er an den Pranger, weil dieser mehr Geld für weniger Leistung wollte. Den Boateng-Brüdern hielt er vor, sie träumten in Interviews von allerlei Vereinen, nur das Wort Hertha hätte er nie gelesen. „Das ist für mich eine Katastrophe“, schimpfte er.

Anfangs musste Hoeneß wegen vieler Zwischenrufe seine Rede öfters unterbrechen, als er geendet hatte, gab es nicht einmal Pfiffe. In der Aussprache griffen die Mitglieder brav die Themen der Hoeneß-Rede auf. Sie erbosten sich über die Söldnermentalität und die fehlende Charakterbildung im Team. Hoeneß zeigte sich verständnisvoll und sagte mehrmals. „Ich bin ganz bei Ihnen mit Ihrer Kritik.“ Irgendwie schien die Kluft zwischen Manager und Mitglieder gar nicht mehr so groß zu sein.

Hoeneß konnte einen rhetorischer Erfolg verbuchen. Er ist bestrebt, Grundsätzliches zu verändern: „Die öffentliche Wahrnehmung über meine Arbeitsweise ist falsch.“ Er entscheide nicht alles alleine, wie ständig kolportiert werde. Künftig wolle er sich wegen des falschen Eindrucks aus der Öffentlichkeitsarbeit zurückziehen und einige Aufgaben dem ehemaligen Hertha-Spieler Michael Preetz überlassen.

Und zur Selbstkritik, beteuerte Hoeneß, sei er entgegen aller Vorwürfe auch fähig. Er fügte als Beispiel an, er hätte Trainer Falko Götz anstatt im April schon im Februar entlassen müssen. Das klang allerdings wieder ein wenig nach Alleinherrschaft. Und an einen zweiten Fehler konnte er sich vor den Hertha-Mitgliedern partout nicht erinnern.

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