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TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEITGeh, Ge, G oder das System um Silbe und Laut

Am Mittwochabend, im Garten der Österreichischen Botschaft, wohin die österreichischen Privatverlage zum Presseabend geladen hatten, wurde sie wieder dauernd ausgesprochen. Die freundlich harsche Aufforderung, doch zu verschwinden.

Sie lautet „a geh“. Der Österreicher sagt das dauernd. Da wo der Deutsche „ach komm“ im Gespräch sagt, spricht der Österreicher „a geh“. Freilich meint er nicht, dass man dann tatsächlich gehen soll. Das deutsche „ach komm“ aber ist ihm unheimlich. Er versteht es nur als Imperativ, als preußischen, ihm wird unwohl, er weiß nicht, ob er fragen soll: „he, wos wuist von mir“, oder „wo geh ma hie“. Die Furcht besitzt ihn. Sofort. Er rächt sich. Und der Deutsche merkt es nicht. Denn der Österreicher tut das subtil. Mit der Vorsilbe „Ge“, die sich meist auf „G“ verkürzt und die der Deutsche höchstens für einen Dialektfehler hält. Will der Österreicher sich einerseits tendenziell alles vom Leib halten, weil er immer glaubt ohnehin kein Leiberl, also keine Chance, zu haben, kollektiviert er andererseits qua dieser Silbe anscheinend viel häufiger Begriffe als der Deutsche. Der Schrei ist immer gleich Geschrei, Schreie kennt er erst gar nicht.

Doch die Silbe ge schafft nicht bloß diese Kollektivierungen, sondern hat eine zweite Funktion. Sie „dient dazu, abwertende Ausdrücke zu schaffen“, wie das unterhaltsame „Wörterbuch der Alltagssprache Österreichs“ lehrt (Haymon Verlag, 2011). Der Österreicher drückt damit aus, dass ihn etwas besonders nervt, sagt der Autor des Wörterbuchs, Robert Sedlaczek, und gibt zu, dass diese zweite Funktion es den Österreichern besonders angetan hat. Ergo muss der Deutsche sich bei jedem G-Laut fragen, was er nun grad zu bedeuten hat, und wird dabei hoffnungslos im Dunkeln wandeln. Und vielleicht einfach verschwinden. Den Österreicher jedenfalls würde es nicht kümmern.

Die Autorin ist taz-Kulturredakteurin Foto: privat

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