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Was lange währt wird wirklich gut

Wider die Vorherrschaft der Triebmittel: Der Oldenburger Slow-Baking Verein will für eine Trendwende in den Backstuben sorgen. Zwar liegen die Nachteile langer Backzeiten auf der Hand – doch ihre Vorzüge auf der Zunge

Geschmacksschulen sollen „Slow Baking“ einem größeren Publikum bekannt machen

Der Kunde sucht woanders sein Glück. „Ich brauche bis heute Nachmittag vier Bleche Butterkuchen. Kriegen Sie das hin?“, hatte der Mann die Verkäuferin gefragt. Die hatte zum Chef geblickt. Der seinen Kopf geschüttelt hat: „Der Teig muss ja allein zwölf Stunden gehen, sonst schmeckt der Kuchen nach nichts“, das war die Antwort von Konditor- und Bäckermeister Wolfgang Heyderich. Heyderich macht ein Tja-so-ist-das-Gesicht und zuckt mit den Achseln. Vor einigen Jahren hätte er den Auftrag wohl angenommen, als er den Teig für Kuchen, Teilchen, Torten, Brote und Brötchen noch mit Vormischungen der Backmittelindustrie anrührte. Die Hersteller bieten für jedes Bäckereiprodukt passende chemische Zusatzstoffe an, die Gehzeiten auf ein Minimum verkürzen und den Backerfolg garantieren. Ein lohnendes Geschäft für die Industrie. Und eine Arbeitserleichterung für die Bäcker, die etwas länger schlafen können. Doch in der Folge dieses über 40 Jahre andauernden Trends schmecken Kuchen, Brote und Brötchen heute flächendeckend gleich – und die Bäcker verlernen ihr Handwerk.

Heyderich, der in Stade eine Konditorei und Bäckerei mit drei Verkaufsstellen betreibt, trat vor zwei Jahren auf die Vollbremse. Als er 30 Jahre alt war und den 1960 gegründeten Betrieb von seinem Vater übernahm, kannte er den Begriff „Slow Baking“ gar nicht: Zunächst baute er sein Geschäft aus, eröffnete zwei Filialen, hübschte das Hauptgeschäft auf. Irgendwann grübelte Heyderich über die Qualität seiner Backwaren und fand, dass Brot und Kuchen überall ähnlich schmecken. „Wie kann ich mich da bloß abheben?“, fragte er sich. Antworten fand er im Oldenburger „Slow Baking“-Verein, und mittlerweile bäckt er ausschließlich nach dessen Regeln: Verzicht auf sämtliche künstlichen Triebmittel oder Zusatzstoffe, ausschließlich natürliche Zutaten, lange Teigführungen, traditionelle Backmethoden, das sind die wichtigsten Grundsätze der Langsambäcker. Ein Beispiel: Für Brötchen brauchen gewöhnliche Bäcker heute 120 Minuten. Bei Heyderich und Gesinnungsgenossen dauert’s 48 Stunden. Der Vorteil: Die Hefepilze können ihr volles Aroma entwickeln. Und die schonendere Backweise schont auch die Inhaltsstoffe. Heyderichs „Knüppel“ aus der hochmodernen, computergesteuerten Backstube schmecken intensiv nach Brötchen, bleiben lange frisch und knusprig. Sie haben wenig gemein mit den Discounter-Kaupappen. Dafür greifen Heyderichs Kunden tiefer in die Tasche. Ein „Knüppel“ kostet 30 Cent.

Die Techniken bedürfen der Fortbildung. So besucht Heyderich viermal jährlich Fachseminare des Vereins. Immer wieder kehrt er begeistert nach Hause zurück: „Es ist unglaublich, was mit veränderten Knetzeiten, anderen Zutaten oder kleinen Rezeptvarianten alles möglich ist.“ Trotzdem scheuen viele die Mühe der Umschulung: Bisher hat der 2003 gegründete Verein zwölf Unternehmen zertifiziert, in Bremen läuft ein Aufnahmeverfahren, 15 weitere haben „Slow Baking“-Produkte im Angebot. Bei 400 Mitgliedern eine magere Resonanz. Das findet auch der Vereinsvorsitzende Ingo Rasche, selbst Bäcker und Konditormeister aus dem westfälischen Löhne. „Wir müssen mehr an unserer Außendarstellung arbeiten und deutlich machen, dass sich ‚Slow Baking‘ auch wirtschaftlich lohnen kann.“ Deshalb will Ingo Rasche neben den regelmäßig stattfindenden „Slow Baking“-Fachseminaren öffentliche „Geschmacksschulen“ oder Verköstigungen veranstalten, um „Slow Baking“ einem größeren Publikum bekannt zu machen. Zudem schwebt dem Vereinschef eine Zusammenarbeit mit der bereits weltweit etablierten „Slow Food“- Bewegung vor.

Thomas Joerdens

Der Verein Slow-Baking hat seinen Sitz in der Ammerländer Heerstraße 231, OL. Infos: www.slowbaking.de

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