: Wieso, weshalb, …?
Der Kapitalismus arbeitet wie wild an der Verknappung der Ware Wissen: Wie man das umschiffen kann, will der „Summit“ im HAU herausfinden
VON KIRSTEN RIESSELMANN
Wir haben das Internet, wir haben Foren und Wikis, Open-Source-Software und dazu Web-2.0-Menschen – die haben schon mit der Muttermilch aufgesogen, dass Netzwerken und Informationenteilen überlebenswichtig – und beglückend! – ist. Kurz: Die technische und soziale Ordnung der Dinge macht Wissen und Bildung heutzutage prinzipiell zu einem frei flottierenden Gut.
Aber eben nur prinzipiell. Denn da ist noch der Kapitalismus, der die Menschen in Politik und Wirtschaft genau angesichts dieser Anti-Eigentum-Entwicklungen hysterisch werden lässt. An allen Ecken und Enden versuchen sie, Wissen und Bildung in rechtlich geschützten Besitz zu verwandeln: Der Bologna-Prozess schützt europäische Chancengleichheit vor und macht Studierende doch zu Credit-Point-Anhäufern mit Scheuklappen. Software, Bilder, Texte und Töne werden strikt an die Copyright-Leine gelegt, ganze Horden von Anwälten verdienen daran, Kinospots stecken Downloader ins Gefängnis. Die EU arbeitet neuerdings an der Zertifizierbarkeit jeglicher berufsqualifizierender Kompetenzen, Hobbys bekommen dann auch eine bestimmte Punktzahl!
Um es mal richtig marxistisch zu sagen: Der Kapitalismus arbeitet wie wild an der künstlichen Verknappung der Ware Wissen – auch wenn die Entwicklung der Produktivkräfte eigentlich eine massive Entfaltung derselben längst möglich macht. „Wir wollen die Absurdität, Wissen zu proprietarisieren, so deutlich wie möglich werden lassen“, sagt da Florian Schneider, Mitinitiator des an diesem Wochenende im HAU stattfindenden „Summit“. Der hat sich auf seine Fahne geschrieben, noch einmal neu und radikal anders über die Dinge zwischen den großen Schlagworten „Bildung“, „Wissensproduktion“ und „Informationsgesellschaft“ nachzudenken.
Ein „Gipfel“ also, der sich, darauf wurde während der Eröffnung am Donnerstag Wert gelegt, weder als „Konferenz“ noch als „Gegengipfel“ zu all den Foren zur Krise der Bildungsinstitutionen versteht, die Politiker und Pädagogen jüngst veranstaltet haben. Die Initiatoren haben keine Experten zu Vorträgen eingeladen, sondern einfach Thema und Rahmen gestellt für die Debatte darüber, wie man Bildung als „Praxis der gesellschaftlichen Veränderung“ begreifen und ergo neu definieren kann. Ein im Ausgang offenes Unterfangen, das, gibt Florian Schneider zu, „erst mal total abstrakt und auch ein bisschen merkwürdig“ ist.
Am Montag soll das Destillat des „Summit“ in einer „Erklärung“ stehen, die im Netz und später auf Papier veröffentlicht wird. Florian Schneider betont, dass es dabei nicht um ein „Manifest“ geht, das brüllt: „Gebt die Bildung frei! Stellt alles ins Internet!“ Ihm ist wichtig, Ansätze zu finden für die Umsetzung dessen, was man sich wünscht, und deshalb freut ihn, dass Leute aus ganz unterschiedlichen Praxisfeldern gekommen sind – Unimenschen, Politaktivisten, Künstler, Organisationsprofis, Technikfrickler, prekarisierte Schreibtischarbeiter: „Nur durch die Verknüpfung von Leuten, die sowohl in Institutionen als auch antiinstitutionell arbeiten, können wir erreichen, dass keines dieser Felder gegen ein anderes ausgespielt wird. Nur so bekommen wir eine gewisse Handlungsfähigkeit.“
Dieses Projekt versucht, sich gut zu halten inmitten all der Komplexitäten, durch die sich Linksdenken und Linkshandeln heute durchwurschteln müssen. Jeder kann kommen und mitmachen, sich „History Lessons“ und „Urgent Thought“-Panels anhören oder Workshops und Diskussionen gleich selbst anleiern. Es sollen keine Vorträge ex cathedra gehalten werden – immerhin will man ja die Grenze zwischen Wissenden und Nichtwissenden aufbrechen. Die redaktionelle Arbeit an der „Erklärung“ passiert öffentlich, und zwar täglich durch wechselnde Leute. Obwohl allen Beteiligten klar ist, dass ohne Theorie weder Utopien noch Konzepte für ein „Gegenwissen“ zustande kommen: Der „Summit“ will theorielinkes Bramarbasieren umschiffen und Strategien für ein „Zusammenkommen in Neugierde“ erfinden. Also kommen, bitte.
Heute und morgen 11–23 Uhr, HAU 1 und HAU 3; So Abschlussparty im WAU (mit DJ Hans Nieswandt); Infos: http://summit.kein.org
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