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Immer erst Luft holen

Roberto Hilbert gehört zum ersten Mal zum Aufgebot der deutschen Nationalmannschaft. Der 22-jährige Franke in Diensten des VfB Stuttgart steht kurz vor dem Ziel seiner Karriereplanung

AUS STUTTGART OLIVER TRUST

Manchmal ist es für ihn wirklich fast aussichtslos. Dann steht Roberto Hilbert da und schaut verlegen aus. Das passiert immer dann, wenn er erklären soll, warum ihm kaum einer glaubt, dass er erst 22 Jahre alt ist. Er wirkt wie 30. Mindestens. Das sagen alle, die sich jemals mit ihm unterhalten haben. Er wirkt älter. Geerdet, vernünftig, ruhig. Da kommt keiner daher, der auf den ersten Blick als Werbefigur für die sogenannten „Jungen Wilden“ aus Stuttgart taugt.

Im Saisonheft der Stuttgarter, auf den bunten Seiten mit den Spielerporträts stehen seine Hobbys verzeichnet. Sie klingen bei ihm, als erzähle jemand einer anderen Lebensform, was Menschen aus Fleisch und Blut auf der Erde tun müssen, um am Leben zu bleiben. Seite 53: „schlafen, essen, lesen“. Fehlt eigentlich nur noch „Luft holen“. Zudem spricht Hilbert ohnehin nicht viel. „Wenn der mal zwei Sätze in Folge sagte, sind wir zusammengezuckt“, erzählte einmal einer seiner Mitspieler bei der SpVgg Greuther Fürth.

Hilbert ist Franke, geboren 1984 in Forchheim, und er liebt das Landleben. Da draußen sei einfach mehr Platz sagt er. „Es gibt schönere Gassen für die Kinder zum Spielen“, sagt er. Hilbert hat zwei. Seine Stieftochter ist bereits elf Jahre alt, sein zweites Kind gerade mal eineinhalb. Wieder bemerkenswert im Vergleich zu den meisten seiner Altersgenossen, die in beinahe jeder Boygroup eine gute Figur machen würden. Von Hilbert erwartet das keiner.

Nicht hier im Remstal, im Osten von Stuttgart. Idyllisch schaut es aus – viel Grün, wenig Hektik. Genau das Richtige für den „Familienmenschen“ aus dem Mittelfeld des VfB Stuttgart. Im Remstal wohnen viele schwäbische Kicker. Auch Bundestrainer Joachim Löw wohnte mal in Strümpfelbach. Als Hilbert nach Stuttgart kam, wollte ihn vor allem einer, Trainer Armin Veh. Viele haben sich damals gewundert, was denn Veh mit dem unbekannten Kicker aus der zweiten Liga wollte. Kein Bundesligaspiel hatte Hilbert zuvor gemacht. Heute gehört er zu den Stammspielern, nur er und Innenverteidiger Matthieu Delpierre absolvierten alle 26 Ligaspiel für die Stuttgarter.

„Enorm laufstark, spielintelligent und technisch sehr gut“, sagt Bundestrainer Löw über ihn. Genau deshalb wollte ihn Veh. In Fürth gehörte Hilbert zu den Besten. „Er hat den Sprung aus der zweiten Liga außergewöhnlich gut geschafft“, sagt Veh. Seine Fitnesswerte gehören zu den besten des Stuttgarter Kaders. „Überragend“, sagt sein Coach. Vehs Spiel gründet sich nicht zuletzt auch auf die Schnelligkeit seines Neueinkaufs. Seit dem Sommer hat der sich zudem enorm gesteigert. Es fing holprig an im August, im Frühjahr 2007 ist seine Fehlpassquote verschwindend gering geworden.

Am vergangenen Freitag vor dem Ligaspiel auf Schalke, noch vor dem Abschlusstraining, klingelte sein Mobiltelefon. „Löw hier“, sagte da einer. Er glaubte ein paar Sekunden lang doch eher an einen Scherz. „Eine Sensation“, meint er nun. „Ich hoffe, es bleibt nicht beim Training. Ich wollte und will mich auf lange Sicht in der Bundesliga etablieren. Dass die Nationalmannschaft so früh kommt, hätte ich nicht gedacht.“

Dass er nun gegen die Tschechen in der EM-Qualifikationspartie gleich spielen darf, glaubt Hilbert nicht. Der U-21-Nationalspieler rechnet sich mehr Chancen aus, gegen Dänemark in Duisburg am kommenden Mittwoch im Team zu stehen. „Ich freue mich wahnsinnig, dabei zu sein, ich gebe Vollgas“.

Für Löw ist Hilbert eine Alternative auf der rechten Seite zu Bernd Schneider. Dort spielt Hilbert auch in Stuttgart. Dribbelstark, schnell, technisch versiert fügte sich Hilbert in Stuttgart nahtlos in den Kader. Die Meinungsmacher sind andere, aber einer wie er, einer, auf den schlicht Verlass ist, wird immer einbezogen. „Die Nationalmannschaft hatte ich immer im Blick“, sagt der Franke. Für später war der Sprung vorgesehen. In seinem Berufsleben gibt es eine genaue Karriereplanung. Nach Jahn Forchheim folgte der 1. FC Nürnberg, die Spvgg Fürth. Dann wagte Hilbert bewusst den „sinnvollen Schritt“ zurück in die Regionalliga zum 1. FC Feucht. Dort, so meinte er, könne er sich besser entwickeln. Er schaffte tatsächlich, was er sich vorgenommen hatte, und kam wieder nach Fürth.

Dort sah Armin Veh den Mann, dem kaum einer glaubt, dass er erst 22 ist.

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