Härte aus Schwäche: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE
Am 2. Juni 1967 erschoss ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg. Bild und Politiker hetzten zügellos gegen die damals noch ziemlich braven Studenten, die sich erdreistet hatten, das Recht, zu demonstrieren, in Anspruch zu nehmen. Die Justiz sprach den Polizisten frei. Der Staat reagierte selbstgerecht und maßlos. Er zeigte Härte aus Schwäche. Ist der 2. Juni endgültig Geschichte geworden? Oder noch aktuell?
So, wie sich der Staat jetzt gegen die G-8-Demonstranten verbarrikadiert, mögen Parallelen zur Zeit vor 40 Jahren sichtbar werden. Tausende Polizisten bewachen die Staatsgäste, ein kilometerlanger Zaun wurde gebaut. Globalisierungskritiker wurden im Vorfeld mit völlig übertriebenen Razzien überzogen, kritische Journalisten vom Verfassungsschutz, der sich als Gesinnungs-TÜV aufspielt, aussortiert. Und die Justiz hält es für richtig, die Demonstranten kilometerweit auf Distanz zu halten, um den Staatschefs den offenbar unerträglichen Anblick von Protestierenden zu ersparen. Härte aus Schwäche, mal wieder?
Es mag ähnlich aussehen – aber vieles ist völlig anders als 1967. Das gesellschaftliche Klima ist viel entspannter, die Fronten sind durchlässiger. Die Medien sind offen für die Forderungen der G-8-Kritiker. So viel fundierte Globalisierungskritik gab es selten zuvor. Auch die staatliche Sicherheitshybris wirkt, bis jetzt, eher unberaten als brutal. Die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit und Zensurmaßnahmen gegen Journalisten scheinen niemand einzuschüchtern – im Gegenteil. Sie bringen die G-8-Kritiker erst richtig in Schwung. In gewisser Weise haben Attac und Co. schon vor der heutigen Demo gewonnen.
Für die Linke ist der 2. Juni 1967 auch eine selbstkritische Erinnerung wert. Denn damals begann der Tunnelblick der Neuen Linken. Viele fühlten sich als Opfer des Staates, den man für den Feind hielt. Die Bewegung flüchtete in Revolutionsideologien und ins selbst gewählte Ghetto. Das war, spiegelbildlich, auch eine Verhärtung aus Schwäche. Die Bewegung brauchte Jahrzehnte, um aus diesem Lagerdenken wieder herauszufinden. Es wäre falsch, wenn sie heute, unter dem Eindruck der G-8-Sicherheitshybris, in das alte Feindbild Staat zurückfallen würde.
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