: Festspiele voller Inbrunst und Ruhm
JUBILÄUM Die KP ist so mächtig, weil sie eine Glaubensgemeinschaft ist, bekennt ein Genosse. Heute feiert die Partei Geburtstag
■ Mao Zedong: Weil sich keiner mehr an den Tag erinnern konnte, an dem sich in Schanghai 13 Aktivisten trafen, beschloss die KP, ihre Gründung auf den 1. Juli 1921 zu legen. In den Jahren von Krieg und Bürgerkrieg setzte sich der Hilfsbibliothekar und Lehrer Mao Zedong an die Spitze. Mit ihr besiegte die KP die Nationalregierung. Mao rief 1949 die Volksrepublik aus.
■ Deng Xiaoping: Nach Maos Tod 1976 setzte sich der Wirtschaftsreformer Deng als Königsmacher für mehrere Generalsekretäre durch.
■ Hu Jintao: Der heutige KP-Chef ist seit 2003 im Amt. Er ist der mächtigste Mann im Staat, kann aber nicht mehr Entscheidungen gegen den Willen der KP-Spitze durchdrücken. Im Herbst 2012 wird Hu voraussichtlich abtreten. Als kommender Mann gilt Vizepräsident Xi Jingping. Heute hat die KP etwa 80 Millionen Mitglieder.
AUS JINGGANGSHAN, NANCHANG UND YANAN JUTTA LIETSCH
„Von Nord nach Süd nimmt die Revolution Formen an – Bauernaufstände überall“, tönt es aus den Lautsprechern des Freiluft-Theaters. „Wenn Mao Zedong bei uns ist, schmeckt jedes Essen gut“, jubelt ein Chor. Rote Fahnen wehen, Kanonen grollen, Verwundete sinken danieder, die Rebellenarmee marschiert. Rauch wabert zwischen Laser-Blitzen, blutrot steigen Hammer und Sichel zum Nachthimmel auf.
„Jinggangshan“ heißt die Schau, so wie die Bergregion in der südchinesischen Provinz Jiangxi. Rund 600 Laien stellen allabendlich die Geschichte der Bauernarmee der Kommunistischen Partei Chinas nach, die in den zwanziger Jahren von hier nach Peking aufbrach. Kurz vor dem neunzigsten Geburtstag der KP sind besonders viele Zuschauer hier. Aus ganz China pilgern Betriebsgruppen, Parteizellen und Veteranen zu den „heiligen Stätten der Revolution“.
Die Partei nutzt das Fest, um an ruhmreiche Zeiten zu erinnern. Propagandachef Li Changchun rief dazu auf, die Gesellschaft zur „Liebe zur Partei, Liebe zur Nation und Liebe zum Sozialismus“ zu erziehen. Die Medien sollen „eine dichte Atmosphäre der Feierlichkeit und Leidenschaft, der Freude und des Friedens, der Einheit und des Fortschritts, der Entwicklung entsprechend wissenschaftlicher Erkenntnisse“ verbreiten.
In den Schulen proben junge Pioniere „rote Lieder“, Studenten preisen die Errungenschaften der KP. Im Radio und im Fernsehen laufen „rote“ Serien, die an die heroischen Kämpfe gegen Kapitalisten, Feudalherren und die japanischen Invasoren erinnern. In Kinos läuft der Film „Glorreicher Parteiaufbau“.
In Jinggangshan, einer armen Gegend zwischen grünen Hügeln und Reisfeldern, freut sich Bauer Zhong Weihua darüber. Am Tage ist er auf dem Feld, am Abend schlüpft er in die Rolle eines Soldaten. „Das ist ein guter Job“, sagt der Mittdreißiger. Der „rote Tourismus“ verschafft ihm ein Zubrot. Pro Aufführung erhält er umgerechnet 1,80 Euro, mit denen er die rund 200 Euro aufbessert, die er monatlich mit Landarbeit und Hilfstätigkeiten verdient. Und so wirft er sich abends in die blaugraue Uniform mit Ballonmütze und rotem Stern und fährt mit dem Moped zum Stadtrand, wo die Besucher aus den Bussen klettern.
Unter den „roten Touristen“ befindet sich an diesem Montag auch ausländische Journalisten. Fünf Tage lang werden sie die „heiligen Stätten“ der Partei, der Armee und der Nation besuchen. Das Informationsbüro des Außenministeriums hat die Fahrt organisiert. Sie soll, sagt dessen Leiter, Liu Hang, den ausländischen Medien „ein positives Bild der KP“ und einen Eindruck davon vermitteln, „welche Kraft hinter dieser Partei steht“.
Wie gelingt es der KP, nach über sechzig Jahren Alleinherrschaft immer noch über 1,3 Milliarden Chinesen zu regieren und dabei nicht durch oppositionelle Bewegungen gefährdet zu sein? Wie konnte es dazu kommen, dass die KP ihr verarmtes Reich nach Jahrzehnten politischer Experimente mit Millionen Toten und verheerender Planwirtschaft in ein staatskapitalistisches Wirtschaftswunderland verwandelte? Heute ist die KP die größte politische Organisation der Welt mit mehr als 80 Millionen Mitgliedern, unter ihnen Geschäftsleute und Multimillionäre. Die Klassenkampforganisation Maos verwandelte sich in das Rückgrat der China GmbH.
Auch der Journalistenbegleiter und Diplomat Bi Haibo gehört dazu, schon als 19-Jähriger trat er bei: „Wenn man in China etwas bewirken will, dann geht man in die KP“, sagt er. „Bedenken Sie: Viele Chinesen sehen es als Lebenstraum an, Mitglied zu werden. Aber nur die Besten werden aufgenommen, denn es müssen die Besten sein, die das Volk führen.“ Der Beweis dafür, das die KP „auf der richtigen Seite der Geschichte“ stehe, „liegt doch auf der Hand“, und er weist auf die modernen Straßen, Hochhäuser und den Industriepark an der Autobahn. „Alles hat die Partei aufgebaut.“
Es ist eine Reise in ein paralleles Universum, in der die Geschichte als unaufhaltsamer Fortschritt erscheint, in der Partei und Nation untrennbar verbunden sind. „Ohne Kommunistische Partei kein neues China“, heißt eines der Lieder, die derzeit überall ertönen.
Kein Thema hingegen sind die Hungerjahre von 1959 bis 1961 mit rund 40 Millionen Toten, die Zerstörungen der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 und das Massaker vom Tiananmen-Platz 1989. „Warum sollen wir das zeigen?“, frag ein Funktionär, „das würde das Publikum nur verwirren.“ „Auf einer Geburtstagsfeier haben solche Dinge nichts zu suchen“, sagt ein anderer.
In dieser Welt existieren die Probleme der Gegenwart nur als Nebenwiderspruch. Über die Unruhen in der Provinz Guangzhou und andernorts, bei denen im Mai und Juni Tausende gegen Willkür, Polizeigewalt und Landenteignungen protestierten, heißt es knapp: „Probleme gibt es in jedem Land, die kriegen wir in den Griff.“ Auch Staatsgründer Mao erscheint in frischem Glanz: Der „Vorsitzende“, sagt Zhou Guan, Vizebürgermeister der 5-Millionen-Stadt Nanchang, „hat mehr Verdienste für das chinesische Volk errungen als jeder Kaiser aus den alten Dynastien.“
„Ich verehre Mao, weil er das Land geeinigt hat und ein großer Dichter war. Über seine Fehler kann ich nichts sagen, das steht einem einfachen Mann wie mir nicht zu“, sagt Professor Wang Min, Chef der Elektrofirma Lattice in Nanchang. Für eine Touristin aus Peking ist „Mao ein großer Mann, weil er in der ganzen Welt so berühmt ist“. Der Händler, der in Jinggangshan Mao-Statuen aus Gips und Messing verkauft, hält Mao für einen „Gott für alle Chinesen, so wie es Jesus für euch Ausländer ist“. Nur vereinzelt hören die „roten Touristen“ kritische Stimmen, wie die eines alten Lehrers, der seine Rente mit dem Verkauf von Fähnchen und Mao-Tassen aufbessert: „Mao hat uns nach 1949 viel Unglück gebracht, weil er nichts von Wirtschaft verstand und nicht auf die hören wollte, die es taten.“
Im modernen Flügel des Museums des „Aufstands vom 1. August“ in Nanchang blinken LED-Monitore und Computergrafiken neben Vitrinen mit Fotos,Waffen, Uniformen und lebensgroßen Skulpturen. Ab 1934 hatten sich Mao und seine Soldaten auf dem Langen Marsch über 6.000 Kilometer nach Nordwesten durchgeschlagen, bis sie 1935 in der kargen Lösslandschaft von Shaanxi unweit des Gelben Flusses ankamen. Es war eine verlustreiche Flucht vor den Regierungstruppen und der japanischen Armee. Etwa 50.000 Rebellen starben oder blieben verletzt zurück. Die Überlebenden hausten bis 1948 in den Höhlen von Yanan, von wo aus Mao und seine Mitstreiter die Eroberung des ganzen Landes vorbereiteten. 1949 gründeten die Kommunisten in Peking die Volksrepublik China. „Die ganze Nation war in Blut getaucht“, sagt die 23-jährige Xiong Chaoyi, die nach ihrem Studium der Logistik Propagandasoldatin und Museumsführerin geworden ist: „Aber die kommunistischen Rebellen verloren nie ihren Mut.“
Auf die Frage, wie sich die in ihrem Museum so gepriesenen Aufstände der Bauern, Studenten und Arbeiter von heutigen Protesten im Land unterscheiden, schaut die Führerin hilfesuchend zur Vorgesetzten. Die sagt: „Das ist nicht zu vergleichen. Damals waren es rechtmäßige Aufstände, die sich gegen die alte Gesellschaft richteten. Heute ist das anders, heute ist die KP an der Regierung.“
Nur einmal wird es eisig: Die Frage, warum die KP Landsleute wie den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, Bürgeranwälte oder Künstler einsperrt und gegen eigene Gesetze verstößt. „Diese Leute bedrohen die Stabilität“, sagt ein Funktionär. „Das können wir nicht dulden.“
„Das Geheimnis unseres Erfolgs“, sagt drei Tage später der Vizebürgermeister von Yanan, Zhang Lixin, „besteht darin, dass die Partei mit der Zeit Schritt hält.“ Und fügt nach kurzem Zögern an: „Und sie ist eine Glaubensgemeinschaft.“ Auch in seiner Stadt ist vor drei Jahren ein Museum eröffnet worden. Es hat 50 Millionen Euro gekostet. Jetzt hat der Bürgermeister noch einmal rund 650.000 Euro locker gemacht und einen Künstler aus Peking engagiert, damit er eine Geburtstagsschau inszeniert.
Die „roten Touristen“ von der Parteizelle der Pharmazeuten in der Pekinger Tsinghua-Universität und ihre Parteikollegen von der Polizei im südchinesischen Foshan genießen den Ausflug auf Kosten der Partei. Gut gelaunt stellen sie sich vor der früheren Mao-Höhle zum Foto auf und erneuern ihren Parteischwur „ewiger Treue“ mit erhobener Faust. Aus den Buslautsprechern ertönen rote Lieder: „Ah, Vorsitzender Mao, wir lieben dich alle so sehr!“ Diplomat Bi singt fröhlich mit. „Das tut gut“, sagt er, „diese Texte und Melodien vermitteln doch den Glauben an eine bessere Zukunft.“
„Das sind absurde Zeiten“, sagt derweil in Peking Professor He Bing bei der Abschlussfeier seiner Studenten an der Hochschule für Politik und Recht. „Sie ermutigen euch, revolutionäre Lieder zu singen, aber sie wollen nicht, dass ihr Revolution macht. Sie ermutigen euch, den Film „Glorreicher Parteiaufbau“ anzuschauen, aber sie wollen nicht, dass ihr eine Partei gründet.“ Seine Rede verbreitet sich blitzschnell im Internet.
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