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Die Naturburschen-Falle

FISCHER Wilde Romantik ohne Antonio Banderas: Für zwei Stunden ist ein Boot auf dem Zürichsee der schönste Ort der Welt

Picknick im Grünen

Anreise: Die Region um Zürich und den Zürichsee eignet sich bestens für Reisen ohne Auto. Von Deutschland aus geht es im (Nacht-)Zug nach Zürich und von dort aus mehrmals stündlich weiter nach Baden, Winterthur, Rapperswil oder Zug.

Ahoi: Bootsfahrten mit den Fischern kann die Agentur Zürichsee Tourismus organisieren.

www.zuerichsee.com

Romantik: Wer mit dem oder der Liebsten unterwegs ist, bekommt bei Wochenendaufenthalten ab zwei Nächten etwa in Baden oder Winterthur einen Picknickkorb mit Pasta und Wein samt Gedichtbändchen dazu.

www.winterthur-tourismus.ch/picknickwww.baden.ch/kulturpicknick/

VON BEATE WILLMS

Man kennt das aus dem Familienprogramm: Ausgebrannte Städterin fährt in Urlaub und trifft Naturburschen – gern mit bedrohtem Familienbesitz (Gestüt, Weinberg). Sie verliebt sich, entdeckt das einfache Leben oder findet zu sich selbst oder alles auf einmal. Im Fernsehen spielen solche Schmonzetten gern auf den Balearen oder in Irland. Und wenn es mal die Alpen als grandiose Bergkulisse sein sollen, dann vielleicht noch im Piemont (Italien!) oder im Tessin (zumindest italienischsprachig). Jedenfalls niemals hier in der Gegend von Zürich.

Das hat natürlich mit den Männern zu tun, die diese Länder zu bieten haben. Spanier: Antonio Banderas! Fernando Torres! Iren: Pierce Brosnan! Colin Farell! Italiener: Alessio Boni! Luca Toni! Aber die Eidgenossen? Josef Ackermann, Jörg Kachelmann, Sepp Blatter. Na? Das alles kann einem in diesem Moment durch den Kopf gehen. Wenn man einsteigt in das Boot zu diesem Mann und überhaupt nicht mit so etwas gerechnet hätte – mit diesen plötzlich wackeligen Knien und dem Blut, das einem in den Kopf schießt. Schließlich schaukelt das Boot nicht in der Keltischen See, nicht im Mittelmeer und auch nicht auf dem Lago Maggiore, sondern auf dem Zürichsee, am Schiffsteg der Insel Ufenau.

Unwillkürlich denkt man an die Kollegin, die alleinreisenden Frauen mit Lust auf Bekanntschaften kürzlich in einem schönen Artikel unter dem doppeldeutigen Titel „Angeln gehen“ tatsächlich empfahl, einen Kurs zum Fischefangen zu besuchen, weil man dort praktisch ausschließlich Männer kennenlerne, „nette Männer“, wie sie schrieb.

Bestimmt hat sie recht. Aber hier geht es gar nicht um Hobbyangler. Hier geht es um einen Berufsfischer. Einen Mann mit einem Knochenjob. Um vier Uhr morgens raus im Sommer, im Winter um fünf. Egal wie müde man ist, egal wie kalt oder wie nass es ist. Die schweren Netze einholen, den Fang nach Hause schaffen, fertig machen, verkaufen. Wieder rausfahren, neue Fischfallen legen. Zehn, fünfzehn Stunden dauert das, je nach Größe des Fangs und Wetter. Sechs Tage die Woche körperliche Arbeit. Ohne Garantie auf Erfolg.

Kein Wunder, dass der Fischwirt hierzulande beinahe ein reiner Männerberuf ist. Am Zürichsee hat sich in den letzten Jahren gerade mal eine Frau an die Ausbildung gewagt – und abgebrochen. In der gesamten Schweiz gibt es nur eine einzige Fischerin, die auch schon über 70 ist.

Aber das ist nur die eine Seite. Dass das Leben auf dem See auch wunderbar sein kann, aufregend, wildromantisch – und vor allem unglaublich frei, unglaublich lebendig: Das lernt man nun hier. Und plötzlich will man das auch. Wie dieser Mann, den zu beschreiben man sich gar nicht traut, weil es peinlich ist, wenn man nicht die richtigen Worte findet beim Schwärmen. Der auch in orangefarbener Gummilatzhose, mit grünen Stiefeln und weit über den Kopf gezogenen Südwester gut aussieht. Man will ihm lieber zusehen, wie er sich problemlos auf dem schwankenden Boot bewegt, wie jeder Handgriff sitzt und alles zugleich lässig und behutsam und im Einklang mit sich und der Welt daherkommt. Ist in der Bibel nicht auch die Rede von Menschenfischern?

So stellt man sich einen glücklichen Menschen vor, und vielleicht bekommt man ja davon was ab.. Ausgerechnet Fritz heißt er. Wie sonst nur Jungs von der Nordseeküste. Eigentlich Fritz Hulliger. Aber er sagt lieber: „Fritz, wie Fischers Fritz“ und verzieht dabei den Mund zu einem halbwegs schiefen Grinsen. Dabei ist es ein Statement. Dazu dieses Zwinkern mit den hellen Augen. Hach. Hm. Für die nächsten zwei Stunden ist das Boot der schönste Platz der Welt.

Steuererklärung? Buchrezension? Geburtstagsrede? Solche Gedanken verschwinden hier schnell

„Fritz, wie Fischers Fritz“

Dabei ist es kein bisschen auf Mitfahrerinnen ausgerichtet. Keine Bank, nicht einmal Platz zum Hinhocken. Nur vorn in der winzigen offenen Kajüte, in die man auf allen vieren hineinkrabbeln muss, der Fahrersitz. Und ein Navi, der sich merkt, wo die Netze ausgelegt sind. Im Rumpf hinten stapeln sich Kunststoffwannen voller sorgfältig aufgerollter Netze und Kühlboxen, die den Fang frisch halten sollen.

Es ist ein Boot für Berufsfischer, ein funktioneller und sehr spartanischer Arbeitsplatz. Passend dazu das Wetter: Wo gestern noch die Sonne aus einem wolkenlosen Himmel brannte, türmen sich heute dichte, dunkle Wolken über dem See. Der Titlis und das Jungfraujoch, die Dreitausender im Hintergrund, sind nicht mal mehr zu erahnen, selbst die Ortschaften am Ufer – Pfäffikon, Richterswil, Etzel – verstecken sich unter Nebelschwaden.

Fritz stapelt sein Handwerkszeug ein bisschen höher und wackeliger. „Brauchst du was gegen den Regen?“ Und schon hat man seine Öljacke um, die schön groß ist und ganz leicht nach Fisch riecht. So lässt es sich noch besser aushalten, auch wenn einen ab und zu eine ordentliche Welle überschwappt. Fritz selbst ist Schlimmeres gewöhnt. Einmal ist ihm das Boot im Sturm vollgelaufen, und er musste wie ein Besessener schöpfen, verzweifelt hoffend, dass der Motor nicht abwürgt.

Am schlimmsten aber war der Unfall vor zweieinhalb Jahren, als sein Kunststoffboot mit einem Metallkahn zusammenstieß. Krankenhaus, wochenlanger Arbeitsausfall. Und vor allem: Totalschaden. 35.000 Franken (28.000 Euro) kostete das neue Boot. Mit den Aufbauten 50.000. Getauft ist es längst, aber einen Namen hat es nicht. Seine Kollegen haben ihre Schiffe nach ihren Frauen benannt; Fritz hat sich noch nicht entschieden. Schon auf dem alten stand einfach „Berufsfischer“.

Diese wackligen Knie und das Blut, das einem in den Kopf schießt – damit hätte man nicht gerechnet

Platz im Kopf

Und? Was denkt man, wenn man den ganzen Tag allein am Ruder steht? „Gute Frage, an was würdest du denken?“ Ja, woran? An die überfällige Steuererklärung? An die Buchrezension zu dem globalisierungskritischen Werk, das zu Hause vergessen auf dem Sofa liegt? An den richtigen Dreh für die Rede zum 75. Geburtstag der Mutter? Ja. Und nein. Denn solche Gedanken verschwinden hier schnell. Fritz freut sich, als er das hört. Genau. Das Gehirn will ausruhen. Ist zufrieden damit, das Muster der Wellen zu verfolgen, den Wolkengebilden hinterherzusehen. Und immer wieder diesen Mann zu beobachten, wie er bedächtig die Barschnetze aufhängt, wie er das Boot im Zickzackkurs durch das seichte Gewässer nahe am Ufer führt und das Maschenwerk in großen Schwüngen auslegt. Eins nach dem anderen.

Aber natürlich kennt auch Fritz dieses Kreisen der Gedanken, das sich festsetzen kann. Zuletzt, als es um die Kormorane ging, die den Fischern den Fang direkt aus dem Netz wegfraßen und dabei das feine Gespinst zerstörten. Inzwischen ist das Problem gelöst. Mit Fritz Hulliger als Präsidenten hat der Schweizerische Berufsfischerverband durchgesetzt, dass der Bestand der bis zu einem Meter großen Vögel dezimiert werden soll, außerdem können Fischer entschädigt werden. Jetzt ist wieder Platz im Kopf für die Bilder, die Überraschungen, die Gerüche, die der See jeden Tag bereithält. Immer wieder andere Sonnenaufgänge, gigantische Regenbögen, die sich von einem Ufer zum anderen spannen. Ein sanfter Duft von Flieder, der am Ufer blüht.

Noch lange, nachdem das Boot wieder am Ufer angelegt hat, bekommt man das Grinsen nicht aus dem Gesicht und das warme Gefühl nicht aus dem Bauch. Wer braucht schon Antonio Banderas?

Für die Recherche nutzte die Autorin eine Einladung von Zürich Tourismus

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