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Gehen Facebook-Partys die Politik was an?JA

EINMISCHEN Nach Ausschreitungen haben Politiker Verbote und Kontrollen von Massenpartys gefordert, zu denen in sozialen Netzwerken aufgerufen wird

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taz.de/sonntazstreit

Walter Scheuerl, 49, ist parteiloses Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft

Facebook-Partys, die im öffentlichen Raum und mit mehreren tausend Teilnehmern stattfinden, können ein lustiger Event sein. Sie bergen aber neben allem Spaß leider auch Risiken für die Beteiligten und Anwohner. Schon deshalb, weil sich viele der Teilnehmer trotz der Facebook-Bezeichnung als „Freunde“ wegen des Schneeball-Effektes persönlich gar nicht kennen. Aufgrund gruppendynamischer Effekte – wie zum Beispiel erheblichem Alkoholkonsum bei der Hamburger „Thessa“-Party in den Abendstunden – können Eskalationen nicht ausgeschlossen werden. Die Toten aus der Massenpanik bei der Loveparade in Duisburg sind traurige Zeugen des latenten Risikos, das bei solchen Massenveranstaltungen immer mit dabei ist. Damit berühren Facebook-Partys automatisch die öffentliche Sicherheit und Ordnung und werden verpflichtend zum Gegenstand der Innenpolitik. Das ist auch gut so. Denn so berechtigt die Feierfreude einzelner Facebook-Nutzer sein mag, muss sichergestellt sein, dass am Ende der Feier keine Verletzten und Sachbeschädigungen zurückbleiben. Es ist auch nicht angemessen, die Kosten der Sicherung solcher Massenfeiern durch Polizei und Feuerwehr der Allgemeinheit aufzubürden. Wer eine solche Feier veranstalten möchte und über Facebook oder andere soziale Netzwerke dazu aufruft, die Feier zu einem Massenevent zu machen, hat auch die Kosten dafür zu tragen. Dies sicherzustellen, ist Sache der Politik.

Jürgen Denker, 43, Pfarrer in Wuppertal, wo es Ärger auf einer Facebook-Party gab

Die Facebook-Partys gehen die Politik etwas an, weil sie sich dringend mit dieser neuen Form der Jugendkultur auseinandersetzen muss, wenn sie den Kontakt zur Lebenswelt der jungen Menschen nicht verlieren will. Aber die Politik ist hier nicht als Gesetzgeber gefragt. Gesetze haben wir mehr als genug – auch, um Partys zu verhindern, die zum Beispiel wegen der Wahl des Veranstaltungsortes erkennbar gefährlich werden. Das Problem sind nicht feiernde Menschen. Das Problem ist auch nicht, dass es auf solchen Veranstaltungen laut und dreckig wird – wobei es die Feiernden vermutlich selbst ärgern würde, wenn ihr Hauseingang als Mülleimer benutzt würde. Das Problem der Facebook-Party bei uns in Wuppertal-Ronsdorf war, dass eine Minderheit gewaltbereiter Chaoten eine ausgelassene Feier in eine regelrechte Straßenschlacht verwandelt hat. Nur mit Polizeigewalt werden wir das Problem nicht lösen.

Angela Kolb, 47, ist die Vorsitzende der Justizministerkonferenz der Länder

Natürlich geht das „die“ Politik etwas an. Themen, die die Gesellschaft bewegen, zu reflektieren und zu schauen, welche Schlussfolgerungen notwendig sind – das ist ja schließlich der Kern von Politik. Da geht es um ein ganzes Bündel an Maßnahmen. Dazu gehört in diesem konkreten Fall zum Beispiel auch, darüber nachzudenken, wie wir Jugendliche in Rechtsfragen fit machen können. Was heißt es, als Veranstalter zu einer solchen Party aufzurufen? Welche Verantwortung übernehme ich damit? Was kann das für Folgen haben? „Jugend – Internet – Recht“ – in diesem Themenkreis müssen wir einen Schwerpunkt setzen. Aber Facebook-Partys per se verbieten? Nein. Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Allein die Tatsache, dass es am Rande von solchen Partys zu Ausschreitungen kommen kann, rechtfertigt kein generelles Verbot.

NEIN

Bernadette Kneidinger, 29, erforscht die Wirkung von Facebook auf Beziehungen

Hoch gelobt und stark kritisiert – mit dieser gegensätzlichen Beurteilung lässt sich die Diskussion über das Mobilisierungspotenzial von Facebook am besten auf den Punkt bringen. Wurde das soziale Netzwerk unter dem Stichwort „Facebook-Revolution“ in Ägypten, Tunesien und anderen arabischen Staaten für sein demokratieförderndes Potenzial von westlichen Politikern und Medien gelobt, so werden unter dem Begriff der „Facebook-Partys“ die Schattenseiten des Mobilisierungspotenzials ins Zentrum gerückt. Ein politisches Verbot dieser Partys würde zwar die zweifellos problematischen Auswüchse derartiger Online-Aufrufe bekämpfen, aber gleichzeitig auch die positiven Formen politischer Mobilisierung der „Generation Facebook“ erschweren. Ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit einer nahtlosen Vorerfassung derartiger Veranstaltungen durch die Polizei. Aus diesem Grund sollte Aufklärung vor Verbot stehen. Wem bewusst ist, dass eine hohe Rechnung ins Haus flattern kann, wird sich den entscheidenden Klick auf „Jeder kann teilnehmen“ zweimal überlegen.

Ilse Aigner, 46, ist seit 2008 Bundesministerin für Verbraucherschutz

Niemand kann und niemand will jungen Leuten das Feiern verbieten. Die Diskussion über schärfere Gesetze und neue Verbote lenkt ab von der Verantwortung der sozialen Netzwerke und der Nutzer selbst. Wenn es darum geht, zu verhindern, dass sich die Pannen und Exzesse der vergangenen Wochen wiederholen, sind natürlich auch die Internet-Nutzer in der Pflicht: Sie müssen sensibel mit ihren privaten Daten umgehen und wissen, dass der Aufruf zum Krawall kein Kavaliersdelikt und das Internet kein rechtsfreier Raum ist. In der Pflicht sehe ich aber auch die Netzwerke, allen voran Facebook. Es kann nicht sein, dass jede bei Facebook gemeldete Veranstaltung erst einmal für die ganze Welt öffentlich ist und nur durch das Entfernen eines voreingestellten Häkchens privat wird. Eine kurze Unachtsamkeit genügt, und eine Party kann schnell in einen Großeinsatz der Polizei münden. Facebook muss die Grundeinstellungen ändern, den Schutz der Privatsphäre verbessern und aktiv Aufklärung betreiben. Gerade Kinder und Jugendliche wähnen sich oft in einem geschlossenen Raum und unterschätzen so das Risiko der Reichweite sozialer Netzwerke. Facebook darf die Verantwortung nicht abschieben, sondern muss seine zum großen Teil minderjährigen Mitglieder über bestehende Risiken aufklären. Facebook steht in der Pflicht, sich dieser Verantwortung zu stellen, wenn es jungen Nutzern solche Anwendungen zur Verfügung stellt.

Gerry Gwozdz, 25, Psychologiestudent, hat die Frage auf taz.de kommentiert

Volksvertreter, die ihren Bürgern die Grundrechte auf freie Rede (Facebook-Einladungen) und Versammlungsfreiheit (Massenfeiern) verbieten wollen, müssen unter mediales Kreuzfeuer genommen werden. Ich halte das für absoluten Nonsens – als wäre jeder Flashmob eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Ganz ehrlich: Eine Hundertschaft der Polizei im Einsatz und 46 Festnahmen – das haben wir bei jedem Drittliga-Fußballspiel in Dresden. Wer sich über die Kosten solcher Einsätze für die armen Steuerzahler aufregt: Durch Diätenerhöhungen, Rettung von Privatbanken und Auslandseinsätze der Bundeswehr werden ganz andere Summen verbrannt.

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