BALLONS, VALENTINSHERZEN: Aufgussgeplauder
Der Saunameister kommt auf die Ballons zu sprechen. Neben ihm zischt das verdunstende Wasser über dem Ofen. Gerade hat er eine ordentliche Kelle über die Steine gegossen. Ein nach Apfel duftender Hitzeschwall kommt oben auf den Stufen an. Aufgusszeit in der Neuköllner Sauna. Draußen dauern die Mauerfallfeierlichkeiten an.
Der Aufgießer, ein kleiner, eigentlich schmaler Mann, bei dem sich nur in Höhe des Bauches eine Wölbung abzeichnet, oberhalb der Körperpartie, wo er nun ein Tuch umgebunden hat, fragt also: „Weiß einer von euch, wann dit is mit den leuchtenden Ballons? Wann die die steigen lassen?“ Vielleicht könne man sie ja von der Dachterrasse aus betrachten. „Um sieben. Also genau jetzt“, antwortet eine Frau auf der mittleren Holzbank. „Aber die leuchten nicht, wenn sie die steigen lassen. Dürfen sie nicht, aus Umweltschutzgründen oder so.“ Der Saunameister rührt in dem Holzkübel mit dem Apfelwasser. „Ist ja witzlos“, sagt er.
Er ist in Plauderlaune. Nach dem zweiten Aufgießen wechselt er das Thema: „Jibt schon Weihnachtssüßkram zu kaufen, wa?“, fragt er rhetorisch. „Kennt ihr diese großen Milka-Herzen?“ Einige nicken. „Die gibt’s nur zu Weihnachten“, regt er sich auf, „aber nicht zum Valentinstag.“ Er lehnt an der Holzwand neben dem Ofen, legt vor dem finalen Aufguss eine Pause ein. „Ick hab mal bei Milka angerufen und gefragt, warum es die nicht gibt, wenn man seiner Liebsten ’n Herz schenken will.“ Die Ersten auf den Holzbänken kämpfen nun verstärkt mit dem sich verbreitenden Dunst. „Die haben gesagt: Dann müssten wir ja die ganze Produktion umstellen.“ Er lacht, nimmt den Kübel wieder in die Hand. „Das erzählen die mir, ’nem ehemaligen Ostler. VEB lässt grüßen.“ Dann kippt er das ganze restliche Wasser mit einem Schlag auf den Ofen. Die Ballons dürften inzwischen im Himmel über Berlin fliegen.
JENS UTHOFF
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