AUF DEM GASOMETER: David, Lou und Iggy
Da unten war früher die Ruine, erzählt unser Guide, ein wettergegerbter Mittfünfziger, der nach eigenen Aussagen mit David Bowie in besagter Kneipe schon ein Bierchen trank. In den 80ern war Schöneberg in, erklärt er. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, piepst ein Mädchen, geschätzte 17.
Wir befinden uns in 80 Metern Höhe über Berlin. Wenn man steil nach unten schauen würde, dann sähe man all die Bars und Stars, von denen der Guide spricht. Er erzählt von Iggy Pop, von Lou Reed. Alles Musiker, die ich nicht mag, die aber irgendwann wohl mal ganz groß gewesen sein müssen in Schöneberg.
Anders als der Guide sind wir zum ersten Mal auf dem Gasometer und blicken, um dem Schwindel vorzubeugen, in die Ferne. Von unten sieht das Industriedenkmal ja ganz putzig aus. Doch hier oben pfeift ein eisiger Wind. Die Sonne geht gerade unter.
Ein Spektakel nur für diejenigen, die freihändig auf löchrigen und rostigen Metallkonstruktionen stehen können und denen es nichts ausmacht, dass das Auge links und rechts und unter ihnen keinen Halt findet. Nachdem ich zwanzig Meter erklommen habe, halte ich inne. Die Höhenangst pocht in mir hoch, dieser seltsame Wunsch, mich in die Tiefe zu stürzen. Wenn du jetzt umkehrst, blamierst du dich, denke ich. Unten steht meine Freundin Hannah, die von vornherein gesagt hat: Ich geh da doch nicht hoch, bist du blöd!
Wenn man oben steht, vergisst man die Angst, die Höhe. Dass da nichts ist, weder ein Netz noch ein Gitter oder eine Glasscheibe. Man sieht völlig frei auf die Stadt. Man sieht den Flughafen BER, die Windräder an der Stadtgrenze, den Müggelberg und die Wäscherei der Charité. Nur die Ruine sieht man nicht. Die steht nicht mehr. Auf der Brache befindet sich jetzt ein Park mit einer Bocciabahn.
TIMO BERGER
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