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ZEUGEN GESUCHTDer Zettel am Baum

Die infolge einer Gewalttat herausgerissenen Haare spukten mir durch den Kopf

Nachdem ich das letzte Mal auf dem Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz einen tanzenden alten Mann im Minirock gesehen hatte, unter dem er nichts als seine Nacktheit trug, war ich gespannt, was mich an diesem Sonntag erwarten würde. Es dauerte nicht lange, und ich sah an einem Baum ein DIN-A4-Blatt mit einer dicken, roten Überschrift, „Hilfe!“ Ich blieb stehen und las. „Ich suche Zeugen, die beobachtet haben, wie ich am 24. 8. gegen 17.30 Uhr hier am Boxhagener Platz von einer Frau angegriffen wurde, die mich stark verletzt hat, u. a. riss sie mir etliche Haare vom Kopf ab.“ Oha, dachte ich.

Ich stand wenige Meter von dem Spielplatz entfernt. Dort waren viele Muttis, Vatis und Kinder, aber alle wirkten sehr friedlich. „Meine Kinder waren auch anwesend und wurden nach der Gewalttat von Muttis vom Spielplatz betreut, bis die Polizei eingetroffen war“, las ich weiter. „Es wäre schön, wenn sich ein Zeuge melden würde und meinen Kindern und mir damit hilft!“

Während ich über den Flohmarkt lief, spukten mir die infolge einer Gewalttat herausgerissenen Haare durch den Kopf, sodass ich glaubte, überall Dinge zu sehen, die mit Haaren zu tun haben: Haarreifen, Frisierstühle, Lockenwickler, Trockenhauben, Scheren. Nur Perücken sah ich nicht. Als ich einmal rum war um den Platz, blieb ich noch ein paar Minuten am Spielplatz stehen. Niemand krümmte jemanden auch nur ein Haar, alle genossen den sonnigen Novembertag.

Etwas verstörend waren nur zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, vielleicht acht und sechs Jahre alt. Das Mädchen führte den Jungen, der einen Puschelschwanz umgebunden hatte und auf allen vieren kroch, an einer Leine. „Du hast aber einen schönen Hund“, sagte ich zu ihr. „Was ist denn das für ein Hund?“ Da kam ein anderes Mädchen angelaufen und rief: „Das ist mein Bruder!“ Das konnte ich ja nicht wissen. BARBARA BOLLWAHN

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