MANN, 24 JAHRE ALT: „Wie bekomme ich Feedback?“
■ Frequenz: 6,4-mal im Monat haben die Deutschen durchschnittlich Sex. Auf diesen Wert kam eine repräsentative Umfrage aus dem vergangenen Jahr. 19 Prozent gaben an, weniger als einmal im Monat mit jemandem zu schlafen.
■ Ort: Die große Mehrheit der Befragten hat am liebsten Sex im Bett: 77 Prozent nennen es als bevorzugten Ort, das Bad folgt mit nur 17 Prozent auf Platz zwei.
■ Einstieg: Ihr erstes Mal erlebten 40 Prozent der Deutschen zwischen dem 16. und 17. Lebensjahr, meist in einer Partnerschaft. Lange war der Zeitpunkt der ersten Erfahrungen immer weiter nach vorne gerückt, seit Mitte der Neunziger ist er relativ konstant.
■ Ausstieg: Rund zwei Drittel der 61- bis 75-Jährigen gaben in einer repräsentativen Studie aus dem Jahr 2005 an, dass sie noch Interesse an Sex haben, Männer etwas stärker als Frauen. Der entscheidende Faktor ist die Beziehung: Während 64 Prozent der über 60-Jährigen mit dem Partner regelmäßig Sex haben, sind es bei gleichaltrigen Singles nur noch gut 7 Prozent.
Liebe taz.am wochenende, meine Frage an Ann-Marlene Henning wäre folgende: Wie ist es nach dem Sex möglich, vom Gegenüber Feedback zu bekommen, ohne unsicher zu wirken?
Ann-Marlene Henning: Dieses „Wie war ich?“. Sie könnten sich ja ganz breit und cool hinlegen und mit tiefer Stimme fragen. Das wirkt nicht unsicher, oder? Feedback ist so eine Sache. Wenn man genossen hat, was gerade passiert ist, und beide richtig bei der Sache waren, ineinander verschmolzen sind, braucht man kein Feedback. Und wenn jemand doch fragt, deutet das darauf hin, dass er unsicher ist und gern eine kleine Bestätigung hätte. Wenn man schon fragen will, dann lieber später. Nie direkt danach. Außer bei einem One-Night-Stand. Da kann man direkter sein. Ansonsten eher in einer anderen Situation, bei einem Wein oder so. Und dann eher generell fragen: Was sich der andere wünscht, ob man etwas anders machen kann? Man braucht viel Fingerspitzengefühl. Oder viel Frechheit. Das hat alles mit Verführung zu tun. Den anderen dazu verführen, etwas preiszugeben.
DOKTORAND DER POLITIKWISSENSCHAFT, 28 JAHRE ALT
„Mit Erniedrigung tue ich mich schwer“
Sehr geehrte Frau Henning, meine Freundin und ich können offen über Sex sprechen. Wir teilen uns mit, was uns gefällt und was nicht, was wir gerne ausprobieren und was wir lieber bleiben lassen wollen. Mit einigen Praktiken tu ich mich aber sehr schwer, da ich diese als Erniedrigung meiner Partnerin interpretiere und mich deshalb davor scheue. Haben Sie einen Tipp, wie ich die Blockade lösen kann?
Ann-Marlene Henning: Ich weiß jetzt natürlich nicht, ob es hier um Praktiken wie Analsex geht, um ein „fester Zupacken“ oder vielleicht sogar um Sadomasochismus. Viele Frauen mögen es, wenn ihr Partner eine gewisse Entschiedenheit an den Tag legt; wenn er zeigt, dass er sie wirklich „rannehmen“ möchte. Wobei das in allen Konstellationen möglich ist: Frau-Mann, Mann-Mann, Frau-Frau. Viele Menschen mögen es einfach, wenn der andere die Kontrolle übernimmt, weil sie dadurch auch ihre eigene Scham verstecken können. Ich habe ein Paar um die sechzig in meiner Beratung, bei denen der Mann von seiner Partnerin dominiert werden wollte. Sie hat mitgemacht, weil sie ihm ausdrücklich nicht wehtun muss, sie muss nur bestimmen. Jetzt hat sie sich einen Catsuit aus Leder gekauft und findet sich selbst ganz toll darin. Am wichtigsten ist immer, genau herauszufinden, was der andere meint.
STUDENTIN, 27 JAHRE ALT
„Geht es ganz ohne?“
Hallo, hier meine Frage: Geht es ganz ohne? Nach anderthalb Jahren Beziehung gestand mein Freund mir total aufgelöst, dass er keinen Sex mehr mit mir haben mag. Ich fühle mich an wie eine Schwester. Zusammengeblieben sind wir trotzdem; sogar zusammengezogen. Unsere Beziehung ist in vielerlei Hinsicht toll. Wir schlafen jede Nacht in einem Bett, nur nie miteinander.
Ann-Marlene Henning: Das klingt ja schon so, als ob Sie mehr wollen würden. Und das macht unglücklich – meistens beide. Dahinter steckt die Frage, ob Sie und Ihr Partner sich vielleicht zu nahe sind? Solange man sich wohlfühlt, auch wenn der andere nicht in der Nähe ist, solange man auf zwei eigenen Beinen steht, kann der andere einen auch eher als sexuelles Wesen betrachten. In meiner Praxis mache ich manchmal eine Übung, bei der sich das Paar ganz nah voreinander stellen muss. Dabei können sie das Geschlecht des anderen nicht mehr sehen und auch sonst wenig. Das ist so ein Ineinanderkrabbeln, aber man sieht den anderen dabei nicht. Wenn Paare übersymbiotisch werden, ist das sexuell nicht mehr erregend. Menschen, die so eng zusammenleben, bei denen denkt man oft: Oh, sind die sich nah. Oh, so intim. Sind sie aber nicht. Paare wie Sie sprechen oft gewisse Wahrheiten nicht aus. Sie haben eine heimliche Allianz, ein Bündnis, den anderen nicht erschrecken zu wollen.
MANN
„Sie hatte noch nie einen Orgasmus“
Hallo Frau Henning, meine Freundin scheint eine ungewöhnliche Einstellung zur Sexualität zu haben. Sie hat mir gesagt, dass es ihr nicht wichtig ist, einen Orgasmus zu haben. Und sie hatte beim Sex mit mir auch noch nie einen. Wenn ich sie lecke oder fingere, kommt sie nie, sondern meint irgendwann, es werde unangenehm, da sie „überreizt“ sei. Auch beim eigentlichen Akt kommt sie nicht und will auch nie nach oben, um es auf eine Weise zu tun, die für sie zum Höhepunkt führt. Ich würde gerne dafür sorgen, dass ihr Sex genauso viel Spaß macht wie mir, aber wenn ich versuche, das Thema anzusprechen, blockt sie immer ab. Wie kann ich zu ihr durchdringen?
Ann-Marlene Henning: An Ihrer Stelle würde ich Ihre Freundin zuerst einmal fragen, wie sie sich selbst befriedigt. Es gibt nämlich eine Möglichkeit, zum Orgasmus zu kommen, die fast ein Drittel der Frauen nutzt. Ich nenne es Klemmen. Da kommt man gar nicht drauf, wenn man es nicht selber macht. Kleine Kinder fangen damit schon an, sie ruckeln auf der Sofalehne hin und her, drücken sich eine Decke zwischen die Beine, kleine Mädchen wollen auf Pferden reiten und so weiter. Manche Frauen bleiben dabei, auch wenn sie älter werden, und fangen nie an, sich zu reiben – zum Beispiel. Sie legen sich auf den Bauch, schlagen die Beine übereinander und pressen eine Faust unter die Klitoris. Von diesen Frauen habe ich einige in meiner Praxis. Sie können beim Sex oft nicht kommen. Meistens kann sich bei so viel Anspannung nur wenig Erregung im Körper verteilen. Wenn Ihre Freundin zu dieser Kategorie zählt – und das können Sie nur herausfinden, wenn Sie mit ihr darüber sprechen –, kann es ihr helfen, mit anderen Methoden zu experimentieren, erst einmal alleine. Sie kann beispielsweise anfangen, ihre Klitoris zu reiben, kann mit Atmung, Anspannung und Entspannung versuchen, ihre Erregung im Körper zu verteilen. Prinzipiell gilt aber auch, dass man Frauen eine Menge Druck nimmt, wenn man ihnen glaubt, wenn sie sagen, dass sie keinen Orgasmus wollen. Manchmal merken Frauen: Es wird heute nicht so einfach, es wird anstrengend und es klappt sowieso nicht. Warum dann nicht einfach den Sex genießen und sagen: Ich will heute keinen Orgasmus? Was übrigens auch ganz interessant ist zu wissen: Der Testosteronspiegel ist einmal im Monat oben – kurz vor dem Eisprung. Dann geht es meist etwas leichter.
RELIGIONSLEHRER, 31 JAHRE ALT
„Als Freier muss man sich rechtfertigen“
Liebe Ann-Marlene, heutzutage ist es doch weitgehend akzeptiert, dass man zum Beispiel gleichgeschlechtlich liebt. Anders ist es jedoch, wenn man wie ich Geld dafür bezahlt, Zeit mit Frauen zu verbringen und sich dabei körperlich näher zu kommen. Wird Ersteres inzwischen zur Kenntnis genommen, scheint man sich als „Freier“ noch immer stark rechtfertigen zu müssen – weshalb ich in einer ursprünglichen Version dieser Mail auch schon mit einem längeren Erklärungstext begonnen hatte. Natürlich spreche ich mich gegen jede Form der Ausnutzung von Zwangslagen aus und fühle mich nur dann wohl, wenn mein Gegenüber freiwillig und im Bewusstsein eigener Grenzen agiert. Zumal ich in den letzten Jahren eher zu Masseurinnen denn zu Prostituierten gegangen bin. Ich bin tatsächlich glücklich, wenn ich nach der gemeinsamen Zeit, die nicht nur von lustvollen Berührungen, sondern auch von verbalen Sticheleien, Gesprächen, Lebensratschlägen und genussvollem Schweigen geprägt ist, wieder nach Hause gehe. Es fühlt sich für mich gut und richtig an, derzeit solche Beziehungen zu führen. Wie nun aber darüber kommunizieren? Hier, anonym und mit dem Wissen, jemanden anzusprechen, der damit umgehen kann – das ist kein Problem! Und wenigen befreundeten Frauen habe ich es auch schon erzählt. Aber wie sich gegenüber einer attraktiven Frau äußern, wenn das Gespräch auf ehemalige Partner umschwenkt? Man(n) will ja seine Erfahrung auch nicht verschweigen.
Ann-Marlene Henning: Wenn Sie Ihr Verhalten reflektiert haben, spricht viel dafür, es der Frau zu sagen. Und die, die damit nicht klarkommt, wird rennen – und dann können Sie froh sein, dass sie schon gerannt ist. Und die, die bleibt, bei der wissen Sie, dass sie Sie nimmt, wie Sie sind. Wie Sie waren, also sind. Wenn Sie es der Frau nicht sagen, müssten Sie auch damit leben. Und ich befürchte, dass dann negative Energien bleiben, dass Sie also manchmal denken würden: Ich bin ein Schwein. Es ist nicht nur für die Frau, sondern auch für Sie selbst besser, wenn Sie es sagen.
MANN, 27 JAHRE ALT
„Gibt es das – zu viel Sex?“
■ Der Pionier: Schon Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Magnus Hirschfeld sexualwissenschaftliche Schriften, insbesondere zu gleichgeschlechtlicher Liebe. Mit seinen Forderungen etwa nach Straffreiheit für Homosexualität erregte er Aufsehen und gilt bis heute als Aufklärungspionier.
■ Die Revolution: 1968 startete nach zähen Verhandlungen um die Altersfreigabe „Das Wunder der Liebe“ – der erste von acht Aufklärungsfilmen von Oswalt Kolle. Die Filme erreichten ein Millionenpublikum. 1969 beantwortete Martin Goldstein als „Dr. Sommer“ das erste Mal die Fragen der Bravo-Leser. Von dem linken Sozialwissenschaftler Günter Amendt erschien 1970 das Aufklärungsbuch „Sexfront“.
■ Die zweite Welle: Die Schriftstellerin Ulrike Heider veröffentlichte gerade „Vögeln ist schön: Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt“. Neben Ann-Marlene Henning versuchen in den vergangenen Jahren verschiedene Fernsehsendungen möglichst ungezwungen über Sex zu sprechen. Paula Lambert und Thilo Mischke moderierten „Unter fremden Decken. Auf der Suche nach dem besten Sex der Welt“. Lambert macht bei Sixx mit „Paula kommt. Sex und gute Nacktgeschichten“ weiter, Mischke mit „Heiß & Fettig“ bei ZDFneo.
Ich bin sexuell anscheinend sehr aktiv. Zumindest sagen das manche. Dadurch, dass es so ein Tabuthema ist, hat man wenige Vergleichsmöglichkeiten. Als ich das erste Mal Sex hatte, habe ich in einer Nacht 14-mal mit meiner Partnerin geschlafen. In der Zeit meiner Beziehung hatte ich täglich mindestens einmal Sex. Ich bin aber sehr schüchtern und habe deshalb immer wieder gefragt, ob sie auch will. Nun hat mich meine Partnerin vor einem halben Jahr verlassen, angeblich sind ihre Eltern mit unserer Beziehung nicht einverstanden (sie ist Kurdin). Nun stellt sich aber mehr und mehr heraus, dass es wohl auch andere Gründe hatte, die sie mir aber nicht sagen kann oder will. Jetzt meine Frage: Gibt es das überhaupt – zu viel Sex haben zu wollen? Ja, okay, natürlich gibt es das. Aber wenn man im Durchschnitt sechs- bis zehnmal pro Woche Sex hat, ist das zu viel?
Ann-Marlene Henning: Diese 14 Mal, das klingt für mich wie Anstrengung. Ich habe früher mal mit einem Mann ausprobiert, wie oft wir es schaffen. Wir sind auf siebenmal gekommen. 14-mal, da bin ich fast froh, dass ich nicht die Frau war. Die meisten haben nur die berühmten zweimal pro Woche Sex, woran ich nicht mal glaube. Wenn die Paare etwas länger zusammen sind, wird es eher zweimal im Monat oder weniger. Aber ich kenne auch Paare, die sich gerade kennengelernt haben und die sagen: Auf jeden Fall ein- bis zweimal am Tag. Für mich ist die Frage nach dem „Wie oft“ aber nicht wichtig, es geht mir eher um die Qualität. Und wenn Sie und Ihre Partnerin Spaß haben oder hatten, ist es eigentlich egal, wie oft es den gab.
MANN, 28 JAHRE ALT
„Sie bekommt dabei Magenkrämpfe“
Ich lebe seit mehreren Jahren in einer Fernbeziehung mit einer Frau, die in einem fernen Land wohnt. Die Liebe ist unendlich stark, aber leider können wir uns nur selten treffen. Was mir zu schaffen macht, ist, dass es bei unseren Treffen nie zum tatsächlichen Sex kommt: Ich gelange nicht in sie, trotz Gleitmittel und beiderseitigem Wunsch nach Sex. Es schmerzt sie höllisch und sie blockt ab. Auch oral hasst sie es, mich zu befriedigen. Sie bekommt dabei Magenkrämpfe. Was kann ich tun? Mehr Druck auf sie auszuüben hilft wohl kaum; ich glaube, es würde die Situation nur verschlimmern. Andererseits will ich Sex mit meiner Freundin. Also was tun?
Ann-Marlene Henning: Die Diagnose heißt in dem Fall vermutlich: Vaginismus. Sie spannt ihren Beckenboden so stark an, dass nichts reingeht. Man kann sich das schwer vorstellen, aber das gibt es tatsächlich. Es kann mit verschiedenen Dingen zu tun haben: mit Schmerzen, die sie mal beim Sex hatte, mit der Angst vor einer Schwangerschaft oder mit schlechten Erfahrungen, wozu auch passen würde, wie es ihr beim Oralsex geht. Wenn sie wirklich Vaginismus hat, dauert die Behandlung eher länger. Sie können nichts tun. Sie können sie nur einfühlsam überzeugen, in Therapie zu jemandem zu gehen, der Ahnung davon hat.
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