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Archiv-Artikel

„Die Namen der Toten“

LESUNG Kurzgeschichten berichten von elf Opfern des Nationalsozialismus und deren Nachkommen

Imke Müller-Hellmann

■ 39, ist Schriftstellerin und hat das Buch „Verschwunden in Deutschland“ über Opfer des KZs Engerhafe geschrieben.

taz: Frau Müller-Hellmann, Sie haben die Geschichten von elf sehr unterschiedlichen Menschen aus ganz Europa aufgeschrieben. Was haben die miteinander zu tun?

Imke Müller-Hellmann: Sie alle sind Opfer des Konzentrationslagers Engerhafe in Ostfriesland. Das war ein Außenlager von Hamburg-Neuengamme. Obwohl es nur zwei Monate im Herbst 1944 existierte, sind dort 188 Menschen bei der Zwangsarbeit gestorben oder ermordet worden.

Warum sind Sie deren Spuren nachgegangen?

Wegen meiner Großmutter. Sie hat 1944 in Engerhafe gelebt und war Zeugin, wie diese Männer durch das Dorf getrieben wurden. Wir hatten eigentlich ein enges Verhältnis zueinander und konnten über alles sprechen – nur nicht über den Nationalsozialismus.

Kommt sie auch im Buch vor?

Das erste Kapitel handelt davon, wie ich mit ihr zusammen den Friedhof von Engerhafe besuche und die Namen der Toten auf einem Gedenkstein finde. Auch in den anderen Geschichten geht es um persönliche Erfahrungen – meine Recherchen nach den Familien der Toten und um die Begegnungen mit den Angehörigen. Das sind Prosatexte, Kurzgeschichten, die zwar hauptsächlich von den Toten erzählen, aber eben auch von der Erinnerung heute.

Sind die Angehörigen einander auch begegnet?

Mittlerweile gibt es regelmäßige Treffen. In Engerhafe hat sich 2009 ein Verein gegründet, der auch eine Gedenkstätte unterhält. Dort findet jedes Jahr im Oktober eine Veranstaltung statt, auf der die Namen der 188 Opfer verlesen werden. Da treffen sich viele Kinder, Enkel oder Geschwister der Toten und erzählen sich und den Menschen aus dem Dorf Engerhafe von ihren Verwandten.

Und was passiert heute Abend?

Ich lese drei Texte aus dem Buch und stelle das Projekt vor. Im Gespräch soll es dann um die Geschichten, aber auch allgemein um diese spezielle Form des Gedenkens gehen. INTERVIEW: JAN-PAUL KOOPMANN

19 Uhr, Forum Kirche, Hollerallee 75