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Vorfreude auf Anne

447 Sonntage sind genug: Sabine Christiansen ist weg. Und jetzt? Kommt der Sommer – und dann Anne Will

Zunächst drei Geständnisse, nach all den Verrissen.

Geständnis Nummer eins: Ich liebe Sabine Christiansen. Von ganzem Herzen. Dafür, dass sie am Sonntag zum letzten Mal ihre Talkshow geleitet hat. Dafür, dass sie mir die Hoheit über den Sonntagabend zurückgibt. Dafür, dass sie sich nun mehr Zeit für ihr Russisch nimmt. Und natürlich für die Entscheidung, der Journalistin Anne Will Platz zu machen, die deswegen ebenfalls am Sonntag Abschied nahm – von den „Tagesthemen“.

Geständnis Nummer zwei: Ich hatte vor, die letzte Sendung gar nicht zu gucken. Um – am besten schon vorher – einen Text darüber zu schreiben, der sich so richtig gewaschen hat. Einen Verriss, mit allem, was dazugehört: Machismo, Intellektualität, Journalistenarroganz. Leider kam es nicht dazu.

Denn, Geständnis Nummer drei: Ich habe die letzte Sendung von Sabine Christiansen dann doch geguckt – logisch. Aber nicht komplett. Es war einfach nicht möglich. Warum? Es passierte zu wenig, fast gar nichts.

Der letzte Gast in Christiansens Ersatzparlament war Bundespräsident Horst Köhler, „der erste Mann im Staate“, wie die Moderatorin eilfertig mitteilte. Langweiliger und harmloser hätte man die Abschiedssendung für Deutschlands trotz aller Kritik wichtigste Talkshow nicht besetzen können. Das ist, ob man Christiansen nun mag oder nicht, keine Art, jemanden nach Frankreich in den Liebesurlaub zu entlassen. Das wurde der Herrin des politischen Ringkampfes einfach nicht gerecht.

Dem gesichtsblassen Köhler kann man dafür natürlich keinen Vorwurf machen. Politische Exekution ist seine Sache qua Amt nicht. Und so hangelten sich Gast und Gastgeberin hastig durch den Themenwald aus G 8, EU-Gipfel, Patriotismus und Steuersystem. Wie zwei Rentner, die über den Zaun hinweg die neuesten Rosenzüchtungen diskutieren – die in anderen Gärten wachsen. Die ganze Sendung wirkte so grausam inszeniert, dass man sich augenblicklich den Anarchohaufen mit Westerwelle, Fischer, Künast & Co. zurückwünschte.

Um 22.38 Uhr hatte die ARD schließlich ein Einsehen: Christiansen durfte sich selbst abwickeln. Trocken verabschiedete sie sich gen Frankreich und überließ Olli Dietrich alias Dittsche die Steigerung des Niveaus.

Dittsche, wie immer am Tresen seines Kumpels Ingo stehend, erzählte, wie er mit Bekannten einst die Sendung Christiansens nachspielte: „Wir haben Kurt Beck aus Sofakissen nachgebaut!“ Aus dem Nichts klopfte es plötzlich an der Scheibe von Ingos Imbiss, und Christiansens Ex-Nachfolger Günther Jauch linste in den Laden. „Der darf hier nicht rein. Der hat Hausverbot hier“, sagte Ingo trocken. Groß war das.

Kaum kleiner auch die letzte „Tagesthemen“-Sendung von Jauch-Nachfolgerin Anne Will. „So, meine Damen und Herren“, sagte sie nach dem letzten Beitrag über einen Fußballfanfriedhof im argentinischen Buenos Aires, „das haben wir gut hingekriegt. Die Stimmung ist friedhofsmäßig unten.“ Dann gab’s live und in Farbe Blumen und echte Gefühle, wie sich das bei Abschieden gehört. Ab 16. September wird Will den Sonntagabend bestimmen. Ich freue mich. DOMINIK SCHOTTNER

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