: Zeigt her eure Füße!
SCHAM Sommer ist Sandalenzeit. Aber was, wenn man seine Füße am liebsten vergraben will, weil sie so hässlich sind? Ein Erfahrungsbericht
■ Lotos: In China war es bis in die dreißiger Jahre üblich, Mädchenfüße mit Bandagen abzubinden. Um einen optimalen „Lotosfuß“ zu formen, wurden alle Zehen gebrochen und unter die Fußsohle gebogen. Die Mode war schmerzhaft, und die Frauen konnten keine langen Strecken mehr laufen, was aber gewünscht war – um sie ans Haus zu binden. Die Behinderung galt als besonders attraktiv.
■ Henna: Für marokkanische Bräute haben die Füße eine besondere Bedeutung – sie werden in der sogenannten „Henna-Nacht“ mit der pflanzlichen Farbe verziert. Da die Paste an Füßen und Händen nach der stundenlangen Bemalung über Nacht einziehen muss, ist die Braut einen Tag lang quasi gelähmt. Sie sitzt auf Kissen auf einem Diwan und wird von ihren Freundinnen gefüttert. Der Trick: Je länger die Farbe einzieht, desto weniger schnell verblasst sie in den Wochen danach. Und solange der Schmuck zu sehen ist, muss die Frau traditionell keine Hausarbeit machen.
VON NADINE AHR
Senk-Spreiz-Knick-Plattfüße. Soweit meine orthopädische Diagnose. Der optische Befund: Meine Füße sind hässlich. Sehr breit. Weil platt. Die Zehen stehen so eng zusammen, dass sie sich quetschen. Der große Zeh steht nach oben und neigt sich auf unnatürliche Weise nach außen. An der Innenseite, direkt am unteren Ende des großen Zehs, da wo er in den Fuß übergeht, ragt ein großer runder Knochen hervor, der Ballen. Im Fachjargon Hallux valgus genannt. Meine Füße sind also wirklich ziemlich hässlich.
Das Dilemma mit meinen Füßen begann irgendwann in meiner Kindheit, ich wusste noch nicht, wie Füße auszusehen haben. „Lauf nicht immer auf Zehenspitzen“, hatte meine Großmutter zu mir gesagt. „Davon bekommst du hässliche Füße!“ Ich lief gerne auf Zehenspitzen, wenn ich barfuß war, tue ich heute noch. An meine Mutter gewandt flüsterte Oma dann: „Das Kind bekommt schon ganz breite Füße. Sag doch auch mal was!“ Sie wusste, wovon sie sprach. Sie selber hatte im Alter einen Hallux valgus – einen Ballen – bekommen.
Meine Großmutter hatte recht, wie immer. Meine Füße entwickelten sich nicht normgerecht. Wir fanden kaum noch Schuhe für mich. Die meisten waren an den Seiten zu schmal, und wenn mir ein Schuh passte, hatte ich tagelang Schmerzen, bevor ich ihn ausgelatscht hatte.
„Das ist angeboren, da kann man nichts machen“, sagte der Orthopäde. Immerhin, die Sache war angeboren, ich konnte also nichts dafür. Der Arzt verschrieb mir Einlagen und empfahl mir einen Zehenspreizer, ein furchtbares Ding aus Silikon, das dafür sorgen sollte, dass die Zehen nicht so eng zusammenstehen.
Da stand ich nun. Pubertierte. Auf Füßen, die aussahen wie die einer alten Frau. Es ging um mehr als um ein orthopädisches Problem. Meine Füße entsprachen nicht dem gesellschaftlichen Bild von schönen Frauenfüßen. Das wusste ich schon damals. Ich hatte nämlich den Hollywood-Film „Boomerang“ gesehen: Darin verlässt Eddie Murphy nach einem One-Night-Stand fluchtartig das Hotelzimmer, weil er entdeckt, dass die Frau, mit der er die Nacht verbrachte, einen Plattfuß mit Ballen hat. Die Botschaft der Szene: Die Füße einer Frau müssen klein und schmal sein, um als schön und erotisch zu gelten.
Ich entwickelte eine Fußscham.
Für irgendeinen Körperteil schämt sich jede Frau, zumindest meiner Erfahrung nach. Hässliche Füße, so denkt man, sind nicht so schlimm wie eine krumme Nase. Die kann man nicht in Bergsteigerstiefeln verstecken. Das Problem wird aber zu einem, seit sich die Sommer in Flip-Flop-Zonen verwandeln. Jede, wirklich jede Frau – so kommt es mir vor – trägt diese Sandalenrudimente.
Offensichtlich geht es bei Sommerschuhen nämlich nicht darum, den nackten Fuß zu bekleiden, sondern ihn möglichst attraktiv zur Geltung zu bringen. Also leide ich besonders im Sommer. Den längsten Teil meines Lebens trug ich Halbschuhe, um meine Senk-Spreiz-Knick-Plattfüße in der heißen Jahreszeit nicht einer breiten Öffentlichkeit präsentieren zu müssen. Und in den Regalen stehen reihenweise Flip-Flops und zarte Riemchengebilde. Sohlen mit möglichst wenig dran.
Manchmal beobachtet mich eine der Verkäuferinnen dabei, wie ich verzweifelt versuche, meine durch die Hitze zusätzlich geschwollenen Füße in ein Paar zu pressen. Das ist dann so, als wenn man unbedingt ein Kleid in Größe 36 möchte, obwohl man eigentlich eine 40 ist. „Vielleicht sollten Sie ein Modell ausprobieren, das besser für Ihre Füße geeignet ist.“
Am Strand vergrabe ich die Füße im Sand. Lege ein Handtuch darüber.
Der weibliche Fuß: ein intimer Körperteil, scheinbar sexuell aufgeladen. Gibt man bei Google das Wort Füße ein, ist der erste Treffer nach Wikipedia: „Die Welt der süßen Frauenfüße“. Eine Website mit Fotos von kleinen, zarten Füßen und dem Aufruf, sich als Fußmodel zu bewerben. Der Fußfetischisten-Terror.
Der erste Arztbesuch wegen meiner Füße ist über 15 Jahre her. Die Einlagen habe ich brav getragen, mich in den unangenehmen Zehenspreizer gezwängt. Besser wurde nichts. Im Gegenteil: Die Fehlstellung ist schlimmer geworden, meine Füße sind nicht nur in die Länge, sondern auch in die Breite gewachsen, der Ballen hat sich stärker ausgebildet. Und dann ist da noch die Druckstelle auf meinem großen Zehennagel. Der Nagel verfärbt sich, wird dick und steht nach oben. Von der allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellung von schönen Füßen bin ich heute weiter entfernt denn je.
Vor ein paar Jahren habe ich noch einmal den Versuch unternommen, etwas gegen meine sonderlichen Füße zu unternehmen. Ich hatte von einer Operation gehört, durch die meine Fehlstellung behoben werden könnte. Toll, dachte ich, ich kann mich also doch noch der Norm anpassen. Das Problem einfach wegschneiden! Ich machte einen Termin bei einem Fußchirurgen. „Wir werden Ihren Ballen abschleifen und am kleinen Zeh eine Sehne verkürzen, so dass die Zehen nach und nach wieder in eine normale Lage kommen. Dann setzten wir hier eine Schraube ein, die … einen Moment bitte.“ Er kramte in seiner Schreibtischschublade und nahm ein kleines metallisches Stück heraus. „… die so aussieht. Und nach zwei bis drei Monaten auf Krücken sind Ihre Füße dann fast wie neu. Den Plattfuß behalten Sie allerdings ein Leben lang, da kann man nichts machen.“
Ich entschied mich dagegen. Schönheitsideal hin oder her: Hier war eindeutig Schluss.
„Irgendwann werden Sie die Operation machen müssen“, gab mir der Arzt noch mit auf den Weg, bevor ich mit meinem Senk-Spreiz-Knick-Plattfüßen aus der Praxis lief. „Irgendwann“ – das klang gut.
Manchmal, wenn ich auf dem Sofa sitze und meine Füße betrachte, denke ich noch an den Chirurgen von damals. Mittlerweile stehen meine Zehen so eng zusammen, dass der kleine Zeh droht sich unter den neben ihm zu schieben. Reiterzeh nennt sich das. Bevor das passiert, muss ich unters Messer, da geht kein Weg dran vorbei. Doch bis es so weit ist, konzentriere ich mich darauf, praktische Lösungen für meine Fußprobleme zu entwickeln: Anstatt neue Schuhe zu kaufen, kaufe ich jetzt meinen Freundinnen, die die gleiche Schuhgröße haben wie ich, ihre alten ausgelatschten Schuhe ab. Manchmal finde ich auch auf Flohmärkten ein schönes Paar. Die muss ich dann desinfizieren – aber sie passen.
Und auch für das Problem mit den Sommerschuhen habe ich eine Lösung gefunden: Ich fand Flip-Flops, die mit großen Blumen benäht sind. Die bedecken meinen Hallux valgus. Mein schiefer Zeh ist darin zwar immer noch schief, und zarter wirken meine Füße in den Schuhen auch nicht, aber was soll’s. Irgendwann muss man sich von konstruierten, oberflächlichen Normvorstellungen befreien.
Ich habe übrigens gleich mehrere Paare von diesen Sandalen gekauft. Im Voraus. Für die nächsten Sommer.
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