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Aufforderung zum Durchdrehen

„Hey, Mister DJ, put a record on“, fordern hüftschwingend Tänzer des Staatsballetts in einer Koproduktion mit dem Berghain: „Shut Up And Dance! Updated“. Aber nicht allen gelingt die Auseinandersetzung mit Technotracks und Industriearchitektur

VON JAN KEDVES

Das riesige, im Beton klaffende Loch, durch das man sonst emporsteigen muss, um den Floor des Berghain zu erreichen: Es ist verschwunden. Verschlossen von einer Zuschauertribüne, die auf einem Baugerüst thront. Wenn dieser Tage „Shut Up And Dance! Updated“, ein Joint Venture zwischen dem Staatsballett und dem Techno-Superclub, vor dieser Tribüne abläuft, wird den Besuchern eines der elementarsten Raumerlebnisse im Berghain fehlen: über die schwebende Stahltreppe in die Halle zu steigen und sich dabei wie ein Wurm zu fühlen.

Seit der Eröffnung 2004 verfolgen die Betreiber des Berghain konsequent die Strategie, ihren Club zu mehr als nur einem Club zu machen: Die Wandinstallation von Piotr Nathan im Foyer, die Tafeln von Wolfgang Tillmans in der Panorama-Bar machen aus dem Club zugleich eine Halle für moderne Kunst. Ein Cruising-Labyrinth samt Latrinenhäuschen ergänzt die Anlage um ein Sexlabor. Vergangenes Jahr wurde für das Berghain eine „Elektro-Oper“ nach Scorseses Film „After Hours“ konzipiert, die allerdings an dem Vorhaben, Opernarien auf Technotracks abzustimmen, scheiterte.

Die Tänzer und jungen Choreografen des Staatsballetts hat das nicht abgeschreckt. Sie wollten dem Hochkultur-Muff der Opernhäuser mal entfliehen und dort tanzen, wo am Wochenende regelmäßig die Zeit aus den Angeln geravt wird. Dass ihr Wunsch in Erfüllung ging, hat nicht nur damit zu tun, dass heutzutage populär ist, von neuen Spielorten Impulse zu erwarten – siehe die letzte Berlin-Biennale in der Jüdischen Mädchenschule. Es hat auch persönliche Gründe: Die Macher des Berghain besuchen, so hört man, regelmäßig die Vorstellungen des Staatsballetts. Einer der beiden soll früher sogar selbst Tänzer gewesen sein.

Vermutlich ist das Berghain auch deswegen begeistert in Vorleistung getreten: Der Soundtrack zu „Shut Up And Dance! Updated“, produziert von Experten für amtlichen Clubsound wie Âme oder NSI, veröffentlicht vor einem Monat auf dem zum Club gehörenden Label Ostgut Ton, gilt unter Genre-Kennern schon jetzt als eine der Techno-Veröffentlichungen des Jahres. Zudem lässt der Clash von alter Industriearchitektur, Maschinenmusik und klassischem Ballett, der nun seit Mittwoch im Berghain läuft, die Kooperationspartner jubeln. „Eine künstlerische Win-win-Situation für alle“ sei die Zusammenarbeit, schwärmen sie.

Ein bisschen übertrieben ist das schon, denn nicht alle der fünf gezeigten Choreografien können überzeugen. Natürlich tanzt die Kompanie des Staatsballetts exzellent. Ein Grundproblem allerdings ist: Technotracks sind darauf ausgelegt, einen steten Flow zu produzieren, der Raver im Club stundenlang selbstvergessen vor sich hin traben lässt. Interessant anzusehen ist das nur selten. Besonders Martin Buczkós Stück für 3 Männer und 3 Frauen zu dem stoisch durchstampfenden Track des Berliner Produzenten Sleeparchive wirkt so, als sei der Choreograf an den fehlenden Akzentuierungen des Tracks beinahe verzweifelt. Den anderen Teams gelingt die Abstimmung schon besser: In dem Stück, das Luke Slater unter dem Pseudonym The 7th Plain beigesteuert hat, wechseln sich schwebende Flächen mit Electrobeat-Gewittern ab – was der Dramaturgie von Nadja Saidakovas Stück entgegenkommt. Informiert von Breakdance und Clubstyles weist sie ihren Tänzern in den hektischen Passagen so viele Bewegungen zu, dass es aussieht, als finde jedes noch so kleine Soundereignis seine Entsprechung in einem Muskelzucken.

Kathlyn Pope hingegen versteht die Micro-Samples, die den ihr zugeteilten Track des chilenischen Minimal-Produzenten Luciano zu einer hibbeligen Angelegenheit machen, als Aufforderung zum Durchdrehen. Sie jongliert kühn mit allerlei Popzitaten, lässt zwei Tänzerinnen als Josephine Baker und die Banane von Andy Warhols Velvet-Underground-Cover auf drei Mafiosi treffen, die tanzen, als kämen sie gerade vom Dreh zu Michael Jacksons „Smooth Criminal“-Video. Das ist lustig anzuschauen, vor allem aber tritt Pope mit dieser Choreografie als Einzige tatsächlich in einen Dialog mit dem Raum: Anfangs fegen die Männer über die Theke der kathedralenartigen Bar am Rand der Tanzfläche, am Ende stürmen alle lustvoll den Balkon, der normalerweise als DJ-Kanzel dient. „Hey, Mister DJ, put a record on!“, scheinen sie hüftschwingend und armeschleudernd zu fordern.

Man kann „Shut Up And Dance! Updated“ – trotz des von der Tribüne verschluckten Lochs und trotz einiger Stücke, die im Grunde genauso in Planetarien oder verlassenen Schwimmbäder gezeigt werden könnten – insgesamt als sehenswertes Programm bezeichnen. Gerecht wäre es allerdings, wenn im Gegenzug demnächst auch mal die Berghain-Raver die Bühne der Staatsoper stürmen dürften.

Im Berghain am Wriezener Bahnhof, am 29. Juni + 3./4./5. Juli, 22 Uhr

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