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Noch ist keiner in den Fluss gefallen

SPREEUFER Die dritte Ausgabe des Antifolk-Festivals Down by the River fand im Kater Holzig statt. Charmante Performerinnen wie Joey DeMarco, Chinawoman, Julia Wilton und Mary Ocher weihten den Spreeclub ein

Der Kater ist ein Abenteuerspielplatz, an dem wir wieder richtig Berlin spielen können

VON DAVID WAGNER

Die Stadt hat einen neuen Club an der Spree. Er liegt in Mitte gleich neben dem Kraftwerk und heißt Kater Holzig. Letzten Donnerstag wurde eröffnet, am Samstag war schon zum dritten Down by the River geladen. Das Antifolk-Festival hatte die beiden Male zuvor noch auf der anderen Seite des Flusses in der Bar 25 stattgefunden.

Der Club ist neu, wirkt aber, als wäre er schon immer da gewesen. Vom neuen hölzernen Sonnendeck oben auf dem Dach sieht die Fassade des alten Fabrikgebäudes aus wie für ein Street-Art-Buch entworfen. K. weiß, dass eine auf Filmsets spezialisierte Baubühne diese Dachterrasse und die bühnenartig beplankte Uferbebauung errichtet hat. Es gibt fünf Bars auf dem Gelände, eine Freiluftpizzeria, eine Kaffeebar und ein ambitioniertes, Katerschmaus genanntes Restaurant. Keine Volxküche mehr, gebratene Jakobsmuscheln und Geschmortes vom Bio Angus Rind stehen auf der Karte.

Wir jubeln den Spongies zu, einem sehr jungen, anarchisch aufspielenden Duo, das sich mit Spülschwämmen schmückt und sonst mit zwei weiteren jungen Herrn als Chuckamuck begeistert. Gleich danach jubeln wir für Julia Wilton. Um für deren frühere Band Pop Tarts Auftritte zu organisieren, hat Koveranstalter und Antifolk-Impresario Ran Huber einst seine Konzertagentur am Start gegründet. Heute steht die Bierbeben-Sängerin als Solokünstlerin im Saal und singt „Party Girl“ von U2. Später wird sie von ihren beiden Schwestern begleitet. Rebecca spielt Gitarre, Jennifer schlägt den Schellenkranz.

Wir sitzen am Ufer und schauen aufs Wasser und die Plattenbauten am anderen Ufer. A. trinkt Wodka Red Bull, damit sie wach bleibt, wir warten auf die russisch-kanadische Traurigkeit von Chinawoman, der Berliner Sängerin aus Toronto, die in Osteuropa schon ein Popstar ist. Wir wollen ihr großartiges „Lovers are Strangers“ hören.

Vorher hören wir – manchmal kommt die Musik aus der Westernbar, dann weht sie aus den Boxen der Pizzabackstation herüber – Joey DeMarco aus Fredricksburg, Virginia. Er ist erst 19 Jahre alt, verzaubert mit Wohnzimmerliedern und spielt heute zum ersten Mal in Europa. Wir lauschen auch der herrlich verrückten Mary Ocher, einem singenden Berliner Gesamtkunstwerk aus Moskau und Tel Aviv. Die Sets sind kurz. Im Wechsel geht es zwischen den Bühnen hin und her. Für das Duo, das sich My two Toms nennt, stehen wir wieder in der offenen Bar am Wasser. Die beiden Toms spielen Gitarre und Banjo, tauschen die Instrumente nach jedem Stück – und singen nicht. Sie bringen Appalachia an die Spree, kommen selbst aber aus Bristol, England.

Das Kater-Gelände wirkt wie ein Burghof oder wie ein großes buntes Feldlager mit Feuerstellen. Einst war hier eine Seifenfabrik. Oder eine Garnfabrik? Es wurde einmal, lange her, etwas hergestellt. Anfang der neunziger Jahre, daran kann K. sich erinnern, lockte der Planet, ein früher Techno-Club hierher. Dann stand das Backsteingebäude lange leer. Turmfalken sollen unter dem Dach genistet haben. Auf dem Gelände davor stand lange Jahre die Wagenburg Schwarzer Kanal.

Jetzt hat die ruinenromantische Berlinkulisse wieder geöffnet, und natürlich sind dänische Psychologiestudenten von diesem Ort begeistert. Wir aber auch, denn der Kater ist ein großer Abenteuerspielplatz, an dem wir wieder richtig Berlin spielen können. Wahrscheinlich aber nicht für lange: Das Gelände gehört schon einem Investor, der bald, vielleicht schon in zwei Jahren, hübsche Wohnungen mit Wasserblick errichten will. Vielleicht wird der Kater nur noch einen Sommer schnurren? So lange soll er keine neue Bar 25, sondern „Kulturtagesstätte“ sein, sagen die Betreiber. Was bitte soll eine „Kulturtagesstätte“ sein? Eine Kita für Kulturinteressierte? Werden hier nachts keine Veranstaltungen mehr stattfinden? Und wo sind die Kulturerzieher? Manchmal läuft einer von ihnen mit einem Megafon durch die Holzlandschaft und ruft den nächsten Auftritt aus.

Nicht durch Ausruf, sondern durch eine SMS erfahren wir, Breaking News, dass Amy Winehouse gestorben ist. L. erzählt, dass sie Winehouse mal in der Kalkscheune gesehen hat, sehr jung muss Winehouse da noch gewesen sein. Uns allen kommt es nun so vor, als hätten wir sie gut gekannt. Und vermuten, dass sie, wäre sie heute hier im Kater an der Spree, schon längst einen der liebevoll zu Koks-und-Vögel-Kabinen umgestalteten Beichtstühle aufgesucht hätte. Die Messingplaketten verraten, dass diese aus einer Kirche in Bruchsaal stammen.

Der Tag am Fluss geht dahin, Schiffe fahren vorbei, trübes Wasser fließt die Spree hinunter. Wir gedenken der großartigen Amy Winehouse und hören Chinawoman. Noch ist keiner in den Fluss gefallen.

■ Im September erscheint von David Wagner „Welche Farbe hat Berlin“ im Verbrecher Verlag

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