BEI MORRISSEY: Die „Mozzer“-Mütze
Schweiß rinnt an der Innenseite meines Beins hinunter, als Steven Patrick Morrissey voller Inbrunst singt: „I am human and I need to be loved“. Der Meister des Pomp und Pathos und Ex-Smiths-Sänger thront auf der und turnt über die Bühne der Columbiahalle, ganz in Weiß gekleidet, und trägt predigtgleich seine Verse vor mit unverkennbar quäkender Baritonstimme. Die Nachbarin im Saal singt mir die meisten Zeilen gleich noch mal ins Ohr, bei ihr klingt es manchmal etwas schief, aber mein Gott.
Der Saal ist voll, das Publikum besteht aus Mittvierziger-Paaren, die sich zuflüstern „Weißt du noch damals, bei der Erstsemester-Party?“, aus Tocotronic-Bassisten, sogar aus Bikern und Rockabillys. Der Mozzer, wie Fans ihn nennen, beugt sich bei Songs wie „I’m so sorry“ des Öfteren mit großer Liebhaber-Geste zu seinen Fans und reicht ihnen die Hand.
Bei „Meat is murder“ will Vorzeigevegetarier Morrissey mal wieder die Fleischesser bekehren; er preist eine „Meat is murder“-Stencil-Schablone an; hinten im Saal am Peta-Stand wird sie wohl verteilt. Am Merchandise-Tisch daneben gibt es dagegen eine Mütze mit dem Aufdruck „Mozzer“ zu kaufen. Ich überlege einen Moment, ob mich ein solches Accessoire gut durch den Winter bringen könnte. Ich entscheide mich dagegen.
Während der Zugabe – „Everyday is like sunday“ – reißt Morrissey sich das Hemd auf und wirft es in die Menge. Zack, Stoff entzwei, nackte Brust raus, das liebt Mozzer – Robert Harting muss sich das bei ihm abgeguckt haben. Zuvor hat der gesamte Saal kollektiv mitgesummt.
Schon gegen halb elf geht es raus in die Kälte, wo eine blonde Frau, knapp 30 oder so, vor einer Fahne des präsentierenden Radiosenders steht und weint. Die Wimperntusche verläuft. Neben ihr geht ein Typ entlang, der sich die „Mozzer“-Mütze und Sonnenbrille überstreift. Schon irgendwie lässig. JENS UTHOFF
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