ÜBER DIE MÖGLICHKEITEN, IN DIE VORMODERNE ZURÜCKZUKEHREN: Alles versenken!
VON HELMUT HÖGE
Während die einen nur „Mediaspree“ versenken wollen, wollen die anderen es nicht unter ganz „Spree-Athen“ tun. Denn, so sagen sie, anders ließen sich solche Bauprojekte, die Gentrifizierung überhaupt, nicht stoppen. Dennoch protestierten die Maximalisten vorvergangene Woche in Kreuzberg friedlich neben den Minimalisten. Dabei lassen sich Erstere nach wie vor von einem Telegramm Lenins leiten, das dieser einst der Münchner Räterepublik schickte, um ihnen Ratschläge zur revolutionären Organisation der kommunalen Selbstverwaltung zu geben: „Sofort die Bürgervillen beschlagnahmen und sie obdachlosen bzw. in allzu beengten Wohnverhältnissen lebenden Proletariern zuweisen“. Sein Telegramm endete mit der Losung Georg Büchners: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“ Dies war für den russischen Arbeiterführer eine Antigentrifizierungsmaßnahme – und damit auch eine gewisse Antimodernisierung.
Auch Walter Benjamin begriff in den 30er Jahren in seinen „Geschichtsphilosophischen Thesen“ den „Rückweg als Ausweg“: Während für Marx die Revolutionen noch historische „Lokomotiven“ waren, „um den langsamen Zug der Geschichte zu beschleunigen“, gab Benjamin zu bedenken: „Vielleicht sind sie der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse.“ Antimodernisierung also, obwohl Lenin das in seinem Telegramm sicher nicht so gemeint hatte.
Umgekehrt bewirkt die Gentrifizierung, so wie wir sie gerade in einigen der früher von der Polizei und nun von uns so genannten „Problembezirken“ erleben, dass schier alles langsam supermodern und chic wird – bis hin zu den neuen Menschen dort, ihren Kinderwägen und Balkonpflanzen, ihrem Outfit und Lifestyle. Zwar gibt es Stimmen, die unken, dass sich die ersten verheirateten Facebookerinnen dort schon wieder scheiden ließen bzw. verlassen würden und sie sich als Alleinerziehende „Loft“ nicht mehr leisten könnten, aber noch ist es nicht so weit – das heißt kein statistisch signifikanter Trend. Und noch haben wir sowieso Sommer und sind somit eitel Sonnenschein, wenn nicht sogar im Urlaub – in Süditalien etwa. So dass man nun – als Tourist – eher milde gestimmt ist gegen alle Touristen in Berlin, die nicht zu Unrecht für die Gentrifizierung mitverantwortlich gemacht werden. Obwohl es natürlich die Mietshausbesitzer sind, die trotz der Büchner’schen und Lenin’schen Kampfparole, trotz mehrerer verlorener Kriege und Enteignungen (im Osten) überlebt haben – und nun munter darangehen, ihre Immobilien wieder und wieder zu modernisieren.
Wie schaffen wir es, zur Vormoderne zurückzukehren? Bruno Latour rät: „Follow the Actors!“ Genau das haben die Maximalisten gegen „Spree-Athen“ kürzlich mit ihrer Beteiligung an der „Versenkt Mediaspree“-Demo getan, ebenso wie mit ihrem Engagement beim heuer wiederaufgenommenen „Kampf auf der Oberbaumbrücke“ mit Lebensmitteln als Wurfgeschossen, was ja dem gleichen Zweck dient: die Reterritorialisierung von Friedrichshain und Kreuzberg als autonome „Medien“, wie die Umwelt von den Biologen früher genannt wurde, einzuleiten. Gewiss, die Philosophen Deleuze und Guattari haben dem gegenüber immer die „Deterritorialisierung“ favorisiert. Aber wir reden hier von Immobilien – von kostbaren Ufergrundstücken gar. Und am Ende verhält es sich damit vielleicht wie beim ewigen „Kampf“ zwischen Antifas und Neonazis: Das Kapital und seine bewaffneten Organe lachen sich ins Fäustchen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen