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Sanierung im Wedding!

Bis nach Mitte leuchtete die Lichtburg! Die Geschichte über ein verlorenes Kino im Wedding und die jüngste Rettung der Gartenstadt Atlantic vor dem Verfall erfährt man jetzt aus dem Buch „Rudolf Fränkl, die Gartenstadt Atlantic und Berlin“

VON JÖRG SUNDERMEIER

Geht man durch die Gartenstadt Atlantic, die hinter dem Gesundbrunnencenter versteckt ist, so sieht man zunächst wenig – eine renovierte Wohnanlage, Häuser aus den 20er-Jahren, unspektakulär. Allenfalls fällt auf, dass die Läden ein bisschen unweddingerisch erscheinen: Es werden weder Handys noch Hundefutter verkauft, sondern Kulturgüter. Ein Architektenbüro liegt direkt neben einem Veranstaltungssaal, der über ein poliertes Piano verfügt. Die Leistung aber und die Anstrengung, die sich hinter diesem Bauwerk verbergen, die können dem Betrachter erst dann klar werden, wenn er das von Gerwin Zohlen herausgegebene Buch „Rudolf Fränkel, die Gartenstadt Atlantic und Berlin“ zur Hand nimmt.

Mit seiner Hilfe lassen sich nämlich die Zeichen, die man hier vorfindet, lesen. Vor dem Café Lichtburg, an der Behmstraße Ecke Heidebrinkerstraße, findet sich eine dynamisch geschwungene Installation, die nachts beleuchtet ist. Sie erinnert, ebenso wie der Name des Cafés, an jenen Teil der Gartenstadt, der unwiederbringlich zerstört ist – den Kinokomplex Lichtburg, der sich zwischen Gartenstadt und Brunnenstraße erstreckte, eine moderne Vergnügungsanlage mit Sälen, Kneipen, Cafés und großen Kinos. In den zwanziger Jahren und sogar noch einmal kurze Zeit nach dem Krieg war sie ein, wenn nicht das kulturelle Zentrum des Wedding.

Zu ihrer besten Zeit, zeigt Jörg Seifert auf, leuchtete die Lichtburg, die über eine Art Turm verfügte, über den Bahnhof Gesundbrunnen hinweg bis tief nach Mitte hinein. Heute jedoch findet man anstelle der Lichtburg nur eine öde Wohnanlage aus den Siebzigerjahren. Die Architektur des Gesundbrunnencenters dagegen, auch dies ein öder Ort, lehnt sich an die der Lichtburg an.

Den Architekten Rudolf Fränkel kann man, wie man nach der Lektüre von Christina Thomson und Geradero Brown-Manrique weiß, als ein Junggenie der modernen Stadtplanung begreifen. Seine Entwürfe orientierten sich an der Idee einer „Gartenstadt“, in der das Städtische nicht völlig über den Menschen und die Natur gesiegt haben sollte, sondern in der das Wohnen im Grünen gewissermaßen in die Stadt verlegt werden sollte. Rasenflächen und Bäume sollten für Erholung vom städtischen Arbeitsalltag sorgen. Der Lichtburg-Komplex, von vornherein mit der Gartenstadt konzipiert, aber erst drei Jahre nach den Wohnbauten 1929 fertig gestellt, sollte wiederum die Urbanität in dieses geordnete Grün bringen.

Die Gartenstadt war ein Erfolg, ihr Architekt aber musste 1933 fliehen. 1939 auch Karl Wolffsohn, den der Herausgeber selbst porträtiert, ein Kinounternehmer, der seinerzeit plante, von dieser Lichtburg aus viele Lichtburgen in ganz Deutschland zu erreichten. Als die Nazis ihm 1936 die Verlängerung der Pacht verweigerten, verfiel er auf einen kühnen Plan – er kaufte über Vertrauensmänner, da er als Jude nichts erwerben durfte, heimlich die Gartenstadt Atlantic auf. Laut Zohlen ein Versuch, den Nazis „ein ‚Schnippchen‘ zu schlagen“. Die Nazis entdeckten den Coup und zwangen Wolffsohn zur „Arisierung“ der Gartenstadt.

Wolffsohn kämpfte nach 1949 jahrelang vergeblich um die Restituierung seines Eigentums. Sein Sohn bekam immerhin die Wohnanlage zugesprochen, die Lichtburg aber wurde nie rückübereignet, sondern 1970 abgerissen. Der Enkel, Michael Wolffsohn, der bekannte Patriot, auch er ein Autor dieses Bandes, hat sich 2001 entschlossen, die Anlage vor dem Verfall zu retten und behutsam zu renovieren, obschon Wohlmeinende davon abrieten – Sanierung im Wedding!

Das Buch dokumentiert in neun Beiträgen Geschichte und Sanierung der Gartenstadt und verweist stets auf die Lücke, die der Abriss der Lichtburg hinterlassen hat. Dem heutigen Besitzer ist man dabei manchmal sehr nahe. Andererseits schreibt die Autorin Regina Mönch über die „Rückkehr in die Stadt“, die Migration habe eine „ungute Entmischung“ in Wedding hervorgebracht. Auch das Anpreisen einer heute möglichen „Work-life-Balance“ durch Benita Braun-Feldweg und Matthias Muffert verärgert. Es scheint, als wollten einige Autoren die Gartenstadt aus Wedding herausnehmen und in eine heile Mitte-Welt stellen.

Dort aber, wo über die Historie geredet wird, leistet das Buch einen wichtigen Beitrag zur Stadtgeschichte – man sollte sich nicht von den Vorworten von Richard Weizsäcker und Klaus Wowereit abschrecken lassen.

Gerwin Zohlen: „Rudolf Fränkel, die Gartenstadt Atlantic und Berlin“. Niggli Verlag, Zürich 2006, 160 Seiten, 36 €

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