LUXEMBURG IST BESSER ALS SEIN RUF: Rennie ratzelet de Pansen rin
MARTIN REICHERT
Das Land, in dessen Grenznähe ich aufgewachsen bin, ist so klein, dass man es von Berlin aus fast vergessen könnte, und von Köln aus gibt es nicht einmal einen durchgehenden Zug dorthin: Luxemburg. Aber nun ist es wieder in aller Munde, und zwar ausschließlich negativ. Lux-Leaks! Internationale Großkonzerne hinterziehen mit Hilfe Luxemburger Banken seit Jahren Steuern in Milliardenhöhe – und das in einem Land, dessen ehemaliger Premierminister EU-Kommissionspräsident ist, Jean-Claude Juncker. Dann auch noch der „Wing Wave“-Skandal von Cargolux, der Luftfrachtgesellschaft, bei dem aufgrund eines halsbrecherischen Manövers des Vorstandsvorsitzenden fast eine nagelneue Boeing zu Bruch gegangen wäre. Luxemburg, ein Schurkenstaat! Ausgerechnet.
Meine Erinnerungen an das Land sind weitaus friedlicherer Natur. Man konnte zum Beispiel in den Kinos stets Filme in Originalfassungen anschauen. Es gab eine prima Late-Eighties-Underground-Disse namens „Flying Dutchman“ nahe der Grenze. Hörte man luxemburgische Radiosender, konnte man sich prima ob der Sprach beömmeln. „Rennie ratzelet de Pansen rin“ oder so ähnlich bedeutet zum Beispiel „Rennie räumt den Magen auf“, und wenn man sich von jemandem verabschiedet, sagt man „Merci und Ädi un danke füret Gespräch“.
Ging man in der Hauptstadt, Luxemburg-Stadt, spazieren, konnte man sich mit ein bisschen Fantasie wie in Paris fühlen. Oder zumindest in Frankreich – Café au lait und Savoir vivre statt Kännchen Kaffee im Land der Reben und Rüben, in Rheinland-Pfalz nämlich. In einem unauffälligen Palästchen in der Innenstadt hauste seinerzeit der Erzherzog „Jang“, eigentlich Jean, und in den Bäckereien konnte man für wenig Geld eine Rieslingpastete kaufen. Es gab in dem kleinen Land sogar einen richtigen internationalen Flughafen und nicht nur einen für amerikanische Militärjets. Die Luxemburger, so wie ich sie in meiner Schulzeit kannte, hatten immer Geld – aber keiner schien so richtig zu wissen, woher.
Auffällig war nur, dass die Mütter meiner Freunde und Freundinnen mindestens einmal im Monat nach Luxemburg fuhren. Sie mussten „zur Bank“ und wollten Schuhe kaufen. Meine Eltern fuhren immer in die nächste Kreisstadt, wenn sie „zur Bank“ mussten, und Schuhe gab es dort auch zu kaufen.
Erst Jahre später führte der Zoll Grenzkontrollen ein – noch heute erzählen meine Eltern die Geschichte einer Dame aus gutem Hause, die, nachdem sie vom Zoll angehalten wurde, ihre Pumps wegschmiss, sich ihre Handtasche unter den Arm presste und in den angrenzenden Wald flüchtete, wo Zollbeamte sie wieder einfingen. In der Handtasche waren 20.000 Euro Schwarzgeld. Sie wollte eben „zur Bank“. Und neue Schuhe hätte sie auch gebraucht.
Donnerstag
Sonja Vogel
German Angst
Freitag
Meike Laaff
Nullen und Einsen
Montag
Josef Winkler
Wortklauberei
Dienstag
Jacinta Nandi
Die gute Ausländerin
Mittwoch
Matthias Lohre
Konservativ
Aber wenn ich ehrlich bin, war ich gar nicht oft in den Filmen in Originalfassung, und Rieslingpastete will man auch nicht jeden Tag essen. Bei „Jang“ war ich nie, und die Flüge vom Luxemburger Flughafen waren unerschwinglich. Wenn ich in Luxemburg war, dann meistens, um zu tanken und Zigaretten zu kaufen. Steuern sparen. Schurke ich.
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