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Dustin O’Halloran träumt in der Grunewaldkirche

Elegische Klaviermusik hatte bis vor kurzem wenig Raum in der Popmusik, und in der Neuen Musik gab es davon noch seltener zu hören. Jetzt wundert man sich langsam, wie viele Pianisten da draußen geduldig in den Startlöchern gesessen haben müssen, denn neuerdings erscheinen so viele Platten mit langsamen Akkordfolgen und tastenden Melodien, dass man vermuten könnte, jemand habe ein Ventil geöffnet, um all die aufgestaute Romantik freizusetzen.

„Postklassisch“ nennt sich die Richtung, in der die Aporien der Avantgarde so was von erledigt sind, dass sich die Grenzen zwischen Pop, Experiment und Klassik vollständig in Wohlklang auflösen. Eines der Label, die sich besonders um diese neue Zugänglichkeit bemühen, ist ein Ableger des britischen Indie-Labels Fatcat mit dem unscheinbaren Namen 130701. Die dort vertretenen Musiker bewegen sich irgendwo zwischen sehnsüchtigem 19. Jahrhundert, der Schrulligkeit eines Erik Satie und nüchternem Minimalismus. Neben den bekannteren Namen des Hauses – allen voran Hauschka und Max Richter – macht derzeit auch der Komponist Dustin O’Halloran mit seinen postklassischen Epen verstärkt auf sich aufmerksam.

Erst im Frühjahr erschien von O’Halloran ein Album mit neuen Arrangements für Klavier und Streichquartett, jetzt hat der in Berlin lebende Amerikaner eine Art „Best-of“ seines früheren Schaffens vorgelegt. „Vorleben“ ist ein Konzertmitschnitt aus der Grunewaldkirche, in dem O’Halloran Stücke von seinen ersten beiden Studioalben mit „Piano Solos“ gespielt hat.

O’Halloran, der unter anderem die Filmmusik zu Sofia Coppolas „Marie Antoinette“ schrieb, hat eine Vorliebe für kompakte Melodien und Arrangements mit übersichtlichen Harmoniefolgen, in denen man gelegentlich Vorbilder des 20. Jahrhunderts heraushören kann. So ist der fast unvermeidliche Franzose Satie ebenso als Einfluss zu vernehmen wie der für seinen glockengeklingelartigen „Tintinnabuli“-Stil bekannte estnische Komponist Arvo Pärt.

Die Stücke haben keine Namen, sondern werden lediglich nach ihrer Werknummer als „Opus 17“ oder „Opus 38“ bezeichnet, was man etwas manieriert finden kann. Andererseits umgeht O’Halloran so die Gefahr, seine Musik mit unnötigen Bildvorgaben zu befrachten. Denn bildgewaltig sind seine Stimmungsminiaturen allemal, fast jedes seiner Stücke könnte man sich auch in einer Filmszene vorstellen.

Hier liegt allerdings eine weitere Gefahr. Anders als seine Kollegen Hauschka oder Richter, die sich in der Regel einen minimalistisch-spröden Anstrich geben, balanciert O’Halloran schon mal auf der Grenze zum Kitsch. Dank seines Gespürs für die richtige Ökonomie der Mittel lässt er es dann meistens zum Glück nicht ganz so weit kommen, nur macht er sich diese Aufgabe durch den zarten Grundton seiner Musik nicht eben leicht. Und paradoxerweise ist es genau dieses Grenzgängertum, das seine Musik wieder spannend macht.

TIM CASPAR BOEHME

■ Dustin O’Halloran: „Vorleben“ (130701/Fatcat/Rough Trade)

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